Von vielen Hochsensiblen habe ich erfahren, dass sie – genauso wie ich früher – oft Probleme damit haben, »bei sich zu bleiben«, oder nicht genau wissen, »ob das ihre Gefühle sind« oder ob sie »jemanden widerspiegeln«.
Das sind Synonyme für eine fehlende oder zu schwache emotionale Abgrenzung.
Was ist emotionale Abgrenzung? Die meisten Menschen, die normalsensibel sind, bekommen die Emotionen anderer Menschen nur unterbewusst mit. Sie müssen sich häufig nicht abgrenzen oder tun dies ganz automatisch. Wenn ihr Gegenüber ihnen nicht explizit sagt, dass es ihm schlecht geht, bemerken sie es gar nicht.
Hochsensible dagegen, die viel Empathie besitzen, sich also in andere gut hineinversetzen können, sehen und fühlen die Emotionen anderer bewusst oder so eben noch an der Schwelle zum Bewusstsein.
Das führt dazu, dass sie die Emotionen anderer wie ihre eigenen wahrnehmen. Besonders deutlich wird dies in großen Menschenmengen, in einem Kaufhaus, während eines Rockkonzerts, bei einem Sportereignis. Hier bemerken selbst normalsensible Menschen, dass eine bestimmte Stimmung herrscht. Im Gegensatz zu Hochsensiblen fühlen sie immer noch ihre eigenen Emotionen. Bei Hochsensiblen kann es passieren, dass die eigenen Emotionen verdrängt oder »hinweggeschwemmt« werden. Du gehst dann ganz in fremden Emotionen auf, schwimmst in ihnen und lässt dich treiben, solange sie positiv sind. Negative Emotionen, wie Stress oder Ärger, sorgen für ein Gefühl des Untergehens oder des Sich-Verlierens. Jeder empfindet das etwas anders. Genauso verhält es sich bei einer Person, wenn die Emotionen sehr intensiv sind. Unbändige Freude oder die Liebe anderer reißt dich mit und kann dich in einen euphorischen Zustand versetzen. Bei Liebeskummer oder Leid benötigst du genauso viele Taschentücher wie deine beste Freundin oder dein bester Freund, die oder der das Erlebnis verarbeitet. Manchmal klingen die Gefühle in dir länger nach als in denjenigen, die sie in dir ausgelöst haben. Du benötigst länger, um sie zu verarbeiten. Dein Freund steht am nächsten Tag bereits wieder lachend vor deiner Tür, während du noch um seine verlorene Beziehung trauerst.
Lange Zeit stand ich vor dem Dilemma, dass ich Schwierigkeiten damit hatte, zu unterscheiden, was meins war und was nicht. Oder genauer: Wie ist eigentlich mein emotionaler Zustand? Was erreicht mich von außen? Wie kann ich das voneinander trennen?
Das ist nicht ganz einfach, denn es setzt eines voraus: Du musst jederzeit bestimmen können, wie es dir innen drin geht. Denn wenn du jederzeit deinen eigenen Zustand kennst, dann kannst du bei Veränderungen sofort sagen, ob sie aus dir heraus entstanden sind oder von außen auf dich eindringen.
Als ich irgendwann einmal die Nase voll davon hatte, dauernd raten zu müssen, was meine Emotionen sind und welche die von anderen, habe ich in meinem Kopf eine Instanz eingeführt, die permanent meinen emotionalen Zustand abfragt. Das ist nicht unbedingt angenehm. Wir Menschen sind sehr große Verdränger. Wenn es uns schlecht geht, verdrängen wir das gerne. Wir funktionieren in solchen Situationen einfach nur, wenn wir überfordert sind, anstatt die Überforderung abzustellen. Immer mit dem Gedanken: »Irgendwann wird alles besser.« In diesen Momenten funktioniert eine solche Instanz nicht, denn sie würde uns gnadenlos zeigen, dass es uns schlecht geht. Ich habe diese Instanz einige Male abgeschaltet, um bestimmte Erfahrungen machen zu können oder bestimmte Projekte durchführen zu können. Immer mit dem Ergebnis, dass es mir danach viel schlechter ging, als wenn ich diese Instanz eingeschaltet gelassen hätte. Diese Emotionsprüfinstanz ist nur wirksam, wenn du ehrlich zu dir selbst bist. Sobald du akzeptierst, dass du auch bewusst schlecht drauf sein darfst, dass es dir nicht immer gut gehen muss, kannst du auch dafür sorgen, dass du in solchen Situationen die Initiative ergreifst und alles dafür tust, dass es dir besser geht. Nur wenn du diese Instanz immerzu in Betrieb hältst und dir immer die Zeit nimmst, den Stand abzulesen, hast du eine gute Chance, dich emotional abzugrenzen.
Ich habe jahrelang mit einer sehr introvertierten Person zusammengewohnt, deren Gefühlsschwankungen von außen so minimal zu erkennen waren, dass kaum jemand außer mir sie wahrnahm. Manchmal konnte ich den emotionalen Zustand dieser Person nur daran ermessen, wie es mir ging, wenn ich unsere gemeinsame Wohnung betrat. Der Unterschied zwischen vorher und dem Moment, als ich auf sie traf, war der Unterschied zwischen meinen Gefühlen und ihrem emotionalen Zustand. Selbst wenn sie wirklich wütend oder sehr ängstlich war, handelte es sich äußerlich nur um eine Nuance der Veränderung. Ohne meine Prüfinstanz hätte ich vermutlich immerzu gedacht, ihre Emotionen wären die meinen.
Den eigenen Zustand abzufragen, klappt auch, wenn ich mir einen Moment Ruhe nehme, einen Ort aufsuche, an dem ich alleine sein kann und in mich hineinhorche. Mit jedem Mal, mit dem ich das tue, fällt es mir leichter, meinen eigenen Zustand abzufragen. Bei mir geschieht dies mittlerweile automatisch. Ich werde von meinem Unterbewusstsein immer nur noch auf die Veränderungen hingewiesen. Somit bekomme ich immer mit, wenn ich die Emotionen anderer Menschen aufnehme und in welchem Maß. Vor allem, wenn ich davon »überschwemmt« werde, weiß ich genau, woher das stammt.
Sehr starke Emotionen können auch über das Netzwerk zum Höheren-Ich getragen werden, sodass du nach dem Schlafen oder Ruhen oder einer Meditation mit fremden Emotionen »erwachst«. Diese stammen meist von Menschen, mit denen du in einer engen Beziehung stehst. Meist denkst du gleichzeitig an eben diese Person. Hier setze ich meinen emotionalen Zustand vor der Ruhephase mit den Erfahrungswerten bisheriger Veränderungen gleich und komme ebenfalls schnell zu einem Ergebnis. Solange ich keine aufwühlenden Träume hatte, stammt diese emotionale Lage nicht von mir.
Wie grenze ich mich denn nun eigentlich zu fremden Emotionen ab? Hier helfen verschiedene Techniken zu verschiedenen Zeiten.
Weiß ich vorher, dass ich in eine Situation komme, in der viele unterschiedliche oder sehr intensive Emotionen auf mich warten, kann ich mich schützen, indem ich mich vorbereite. Das Beispiel der Ritterrüstung aus dem Abschnitt »Physische Abgrenzung« hilft auch hier, wenn du die Ritterrüstung mit einem Energiefeld ausstattest, das Emotionen abweist.
Mir helfen ein Kopfhörer und Musik, um die Wahrnehmung der Umgebung einzudämmen und eine gewünschte Emotion durch entsprechende Musik herbeizuführen.
Komme ich unvermutet in eine Situation, in der mir intensive oder viele Emotionen begegnen, ohne dass ich eine Vorbereitungszeit hatte, stelle ich mir einen Energieschild vor (wie aus Star Wars oder einer beliebigen Science-Fiction Serie), der sich um mich herum aufbaut und die Emotionen draußen abprallen lässt. So ein Energieschild ist schnell aufgebaut und einsatzbereit, schneller, als eine Ritterrüstung angezogen werden kann.
Stelle ich fest, dass ich bereits fremde Emotionen in mir trage, die ich gar nicht aufnehmen wollte, dann hilft zunächst ebenfalls die Vorstellung des Energieschilds, um nachrückende Emotionen erst mal abzuwehren. Dann stelle ich mir vor, ich nehme einen Besen zur Hand und kehre die Emotionen hinaus. Handelt es sich um hartnäckige oder starke Emotionen, die mich zu überwältigen drohen, mache ich innerlich eine Schubsbewegung und denke laut NEIN!, während ich stoßartig tief ausatme. Meistens hilft das.
Tiefes Atmen ist bei starken emotionalen Schwankungen immer eine gute Idee, da es nicht nur das Gehirn durchlüftet, sondern auch die Selbstheilungskräfte und das Immunsystem kurzfristig stärkt.
Sollte nichts helfen, versuche ich so schnell wie möglich der Situation zu entkommen und einen ruhigen Ort aufzusuchen. Eine Toilette kann bereits helfen. In Verbindung mit der Ausrede »Ich muss mal ganz dringend« ist das eine unangreifbare Rückzugsstrategie. Auf der Toilette atme ich so lange tief durch die Nase ein und stoßartig aus dem Mund aus, bis es mir besser geht.
Sich komplett abzuschirmen ist manchmal nicht sehr hilfreich, besonders, wenn du mit den Menschen dauerhaft umgehen oder mit ihnen arbeiten musst. Das Energieschildkonzept kann um eine Ebene erweitert werden. Anstatt alle Emotionen abzublocken und zu reflektieren, kannst du den Schild so einstellen (polarisieren), dass er nur die negativen Emotionen blockiert und/oder alle Emotionen ab einer bestimmen Stärke. Außerdem kannst du ihn als Teilschild aufbauen und nur auf ein oder zwei Menschen in der Umgebung ausrichten. Mit ein wenig Modulation und Übung sollte jedwede Filtereinstellung, die du dir ausdenken kannst, auch wirksam werden.
Es handelt sich bei all dem nicht um spirituelle Techniken oder Zauberei, sondern um eine Anpassung deiner Wahrnehmung durch deine Vorstellungskraft. Viele Prozesse in uns lassen sich bewusst steuern und umwandeln. So kannst du mit der richtigen Einstellung zu dir und nach außen hin sprichwörtliche Berge versetzen.
Zur emotionalen Abgrenzung gehört auch, dass du dir nicht immer von allen Menschen alle Probleme anhören musst. Du entscheidest, wann es dir zu viel wird. Genauso musst du nicht ständig die volle Wucht Glücksgefühle einer euphorischen Person ertragen. Selbst diese Emotionen sind anstrengend auf Dauer, obwohl sie schön sind.
Auch hier will ich noch einmal betonen, dass eine dauerhafte emotionale Abschottung nach außen dich in deiner Entwicklung behindert. Außerdem wirst du von den dich umgebenden Menschen negativ wahrgenommen, wenn du keinerlei Gefühlsregung nach außen durchdringen lässt. Menschen kommunizieren auf der emotionalen Ebene fast genauso viel, wie auf der sprachlichen Ebene. Unsere Emotionen steuern unsere Körpersprache. Eine leblose oder sehr kontrollierte Körpersprache wirkt auf Andere immer unauthentisch. Authentizität ist wichtig, denn sie wirkt Vertrauen erweckend.
Gehe also zunächst in dein inneres Zentrum und taste dich nach außen an deine emotionalen Grenzen heran. Dann wage dich in kleinen Schritten immer mal über die Grenze hinaus, nicht weit und nicht so, dass du darunter leidest. Wenn du das kontinuierlich durchhältst, dann erweiterst du deine Grenzen Schritt für Schritt.
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