Hochsensible Personen werden manchmal negativ von ihrer Umgebung wahrgenommen, da sie dazu neigen, ab und an extrem auffällig zu werden.
Normalerweise sind HSP friedliche, unauffällige Menschen mit erhöhter Wahrnehmung, der erweiterten Fähigkeit, Zusammenhänge wahrzunehmen und Lügen schnell zu durchschauen, und einer großen Portion Empathie. Die wenigsten HSP, die ich kenne, neigen zu Ränkespielen und Manipulationsversuchen, um besser dazustehen oder um in bessere gesellschaftliche Positionen zu gelangen.
Wenn du auf einer Party einen Hochsensiblen suchst, dann schau nach der Person, die entweder mehreren Menschen zuhört und selbst kaum etwas sagt oder nach der allein herumsitzenden und in einem Buch oder Comic blätternden Person.
Eigentlich sind wir ziemlich gute Zuhörer und Ratgeber, eher ruhig und introvertiert oder fröhlich und extrovertiert. Warum fallen wir also negativ auf?
Erst neulich ist es mir wieder passiert, was jeder von uns bestimmt schon das eine oder andere Mal erlebt hat. Ich war bei einer Bekannten, die ich noch nicht so lange kenne. Bisher hat sie mich als einfühlsamen Zuhörer kennen gelernt, mit dem man über alles reden kann. Doch an diesem Tag war alles anders. Sie war sehr empfindlich und ich war total überreizt. So sehr, dass ich davon Druckkopfschmerzen bekam. Es waren keine stechenden, sondern nervige pulsierende Schmerzen, als würde das Gehirn gegen die Hirnschale drücken. Wir diskutierten ein Thema, bei dem wir entgegengesetzte Positionen vertraten. Mir war die Diskussion schon einige Zeit zu intensiv und unergiebig, da immer dieselben Argumente wiederholt wurden und kein Konsens in Sicht war. Normalerweise würde ich hier unbemerkt das Thema wechseln. Doch an diesem Tag war mir einfach alles zu viel. Also explodierte ich und brach einen Streit vom Zaun. Minuten später verabschiedete ich mich und ging. Ich hatte ein sehr schlechtes Gefühl, ein schlechtes Gewissen und fühlte mich wie durch die Mangel gedreht. Dazu kam, dass ich bemerkt hatte, wie nahe das Thema meiner Bekannten ging und wie sehr ich sie unbeabsichtigt verletzt hatte. Der Streit war dann noch die Krone. Nach Streitigkeiten fühle ich mich immer furchtbar. Ich kann Streits nicht gewinnen, denn wenn ich gewinne, fühle ich mit der unterlegenen Person mit und habe ein schlechtes Gewissen, dass ich meine Ellenbogen so lange ausgefahren hatte, bis ich den Streit gewonnen habe. Wenn ich verliere, fühle ich mich ebenso schlecht. Ich nehme die negative Energie mit und muss sie verarbeiten, während die anderen Teilnehmer des Streits vielleicht nach einer Stunde wieder gut drauf sind und alles vergessen haben. Die Bekannte meinte nach einigen Wochen, als wir uns wieder trafen, dass der Streit gar nicht so schlimm für sie gewesen sei. Ich hatte knapp eine Woche damit zu tun, ihn zu verarbeiten. Sie wunderte sich nur, dass ich normalerweise so emphatisch und rücksichtsvoll sei, doch an jenem Abend keine Spur davon zu bemerken gewesen sei.
Mit der Beschreibung der Situation habe ich gleichzeitig die Ursachen der meisten Situationen aufgelöst, die uns auffallen lassen.
Die scheinbar unbegründete Explosion.
Ein anderes Beispiel: Ich sehe eine ganze Weile eine Ungerechtigkeit mit an, die mich nicht betrifft, sondern jemand anderen. Mit jedem Mal, bei dem ich die Ungerechtigkeit mitbekomme, baut sich in mir eine immer größere Abneigung gegen denjenigen auf, der sie ausübt. Dies geschieht wie in einem Schnellkochtopf. Irgendwann ist der Druck so groß, dass er sich nirgendwohin mehr ausbreiten kann. Dann bleibt nur ein Ventil. Vielleicht kommt die betreffende Person und kritisiert mich leicht oder bittet mich um etwas, das ich nicht machen möchte. Vielleicht trifft es sogar eine Person, die mit der ganzen Sache nur wenig oder gar nichts zu tun hat. In dem Moment explodiere ich und wer in der Nähe ist, bekommt etwas ab. Alle stehen verdutzt da und niemand weiß, warum ich gerade explodiert bin.
Beide Situationen hätten sich ganz leicht entschärfen lassen.
In der ersten Situation hätte ich entweder die Verabredung nicht wahrnehmen dürfen oder gleich zu Anfang einwerfen sollen, dass es mir überhaupt nicht gut geht und ich gerade sehr überreizt bin. Auf Nachfrage, was dies bedeutet, hätte ich den Zustand beschreiben können und der gesamte Abend wäre anders verlaufen. Ich habe der Bekannten dies im Nachhinein erklärt und sie hat es klaglos akzeptiert. Allerdings meinte sie, ich hätte es vorher klären sollen.
Genauso hätte ich in der zweiten Situation bereits vorher meinen Unmut über die Ungerechtigkeit laut werden lassen sollen entweder der ausübenden Person, einer anderen Vertrauensperson oder bei der Arbeit einem Vorgesetzten gegenüber. So hätte ich erst gar keinen Druck aufgebaut.
Warum aber bleiben diese Ausraster und Fehlverhalten unsererseits so im Gedächtnis der anderen und vernebeln bei ihnen die tatsächliche Art, wie wir normalerweise sind?
Der Mensch nimmt aus evolutionsbedingten Gründen negative Ereignisse zehn Mal stärker wahr als positive. Wenn jemand ein bestimmtes Gewächs ausprobiert hatte und daran gestorben war, musste sich dies ins Gehirn der übrigen Gemeinschaft einbrennen, damit dieses Gewächs künftig gemieden werden konnte. Wenn eine Jagdstrategie nicht funktionierte und dabei Jäger verletzt oder getötet wurden, so mussten sich das alle Jäger für die Zukunft und auch die nächsten Generationen unbedingt merken. Genauso konnten Geisteskrankheiten und geistige Fehlbildungen nur anhand von Fehlfunktionen im sozialen Miteinander festgestellt werden. Wer sich seltsam oder unerklärlich verhielt, wurde gemieden oder gar aus dem Stamm ausgeschlossen. Deswegen gibt es Scham und Peinlichkeit. Beides signalisiert den Stammesmitgliedern, dass man sein Fehlverhalten bemerkt hat und dass es nicht absichtlich ausgeführt wurde. Das war und ist das Zeichen, dass man nicht geistig krank ist.
Und genau aus diesem Grund hängen uns und anderen unser Fehlverhalten stark nach, dank unserer verstärkten Wahrnehmung und intensiveren Verarbeitung uns viel länger als Normalsensiblen.
Solche Ausraster und Fehlverhalten aus Gründen der Überreiztheit lassen sich am besten durch genügend Achtsamkeit mit dir selbst vermeiden. Sorge dafür, dass du möglichst besonnen, achtsam, ausgeruht und ohne Überreizung zu sozialen Veranstaltungen gehst. Oder bleib zu Hause. Im Beruf ist dies nicht so einfach. Am besten ist es, wenn man sich gleich mit den Kollegen ausspricht, sobald man das Gefühl hat, dass etwas nicht stimmt. Sind die Kollegen dazu nicht bereit, kontaktiere Personalräte, Schlichter und Vorgesetzte. So kannst du deinen Frust oder deine Bedenken loswerden, ohne unschöne Streits oder Unstimmigkeiten in der Firma zu riskieren.
Wenn du deine Vergangenheit bewältigt, deine Ängste und deinen Perfektionismus so gut wie möglich losgelassen hast und dich ausreichend abgrenzen kannst, sollte das kein Problem sein.
<Hochbegabte Höchstleistung | Widersprüchlichkeiten> |
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Ich bitte Sie, das Vorwort und das Kapitel Selbstentwicklung zu lesen, bevor Sie fortfahren.