Bei hochsensiblen Kindern, die als hochbegabt eingestuft wurden, ist der Leistungsdruck sehr stark. Die Anzahl der Eindrücke, die sie während ihrer Schul- und Studienstunden aufnehmen müssen, ist ausgesprochen hoch. Diese Kinder werden hemmungslos überfordert. Sie werden dazu erzogen, dass sie ihre Fantasie in die Wissenschaft oder Wirtschaft kanalisieren und sie deren Regeln unterordnen. Ihnen wird die Emotionalität aberzogen, da diese die Ergebnisse verfälschen und Erfolge verhindern könnte. Ein guter Wissenschaftler forscht emotionslos. Ein guter Wirtschaftsboss kümmert sich nicht um die Folgen seines Handelns, Hauptsache der Rubel rollt. Den kindern wird Lehrstoff in einem für HSK schädlichen Maß eingetrichtert. Selbst wenn Bildungseinrichtungen den Schülern und Studenten Auszeiten gewähren, nehmen sich die Betroffenen diese nicht so oft, wie sie sie benötigen würden. Hochsensible Menschen haben einen Hang dazu, sich systematisch zu überfordern, einen Hang zur Perfektion und sie sind serviceorientiert. Kurz: Sie wollen die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen und dabei möglichst wenig Umstände verursachen. In einer Umgebung, in der sie zum Wettkampf gegeneinander gezwungen werden, werden sie nur die minimalste Auszeit nehmen, die ihnen gerade so reicht. Dafür kiffen und trinken sie in ihrer Freizeit, um die Überreiztheit zu verdrängen. Marihuana und Alkohol sorgen für eine Verlangsamung der Gehirnaktivitäten, dämpfen die Wahrnehmung (also die eingehenden Reize) und öffnen eine Tür in der Wand zwischen der Zwangserziehung zur Rationalität und der eigenen Fantasie. Wer nicht kifft oder trinkt, sucht sich andere Wege, die Überreizung und Überforderung zu betäuben. Zum Beispiel stundenlanges Lesen, Fernsehmarathons oder Serien-Binge-Watching (= viele Serienfolgen nacheinander schauen), übermäßiges Spielen von Konsolen- oder PC-Spielen, sehr viel Sex, härtere Drogen.
Hochbegabte, hochsensible Kinder, die lange nichts davon wussten, dass sie »hochbegabt« sind und deswegen zur Realschule oder Hauptschule gingen, hatten es nicht unbedingt minder schwer. Mir war zu 90 % der Zeit in der Schule langweilig, weil ich bereits alles beim ersten Mal verstanden hatte. Ich bin, ohne außerhalb der Schule ernsthaft zu lernen, mit einer Phalanx an Einsen und Zweien durch die Schulzeit gegangen. Alles schien mir zuzufliegen. Wen wundert es da, dass die Mitschüler, die für eine Drei büffeln mussten, ihren Frust an mir abgelassen haben? Ich will mich nicht beschweren, ich durfte meine Fantasie behalten und meine Eltern haben sie mich ausleben lassen. Als Heranwachsender habe ich mich nicht darum geschert, dass ich jetzt »vernünftig« werden und mal mit dem ganzen »Unsinn« aufhören solle. »Immer dieses Lesen von Fantasy und Science Fiction. Das ist doch nur Realitätsflucht. Diese Computerspiele sind immens schädlich für deine Entwicklung.« Ich denke, viele kennen diese Sätze. Zum Glück bin ich in einer Generation aufgewachsen, die noch vornehmlich ihre Kindheit draußen im Freien verbracht hat, durch Wälder getobt ist, Ballspiele gespielt hat und bei schönem Wetter baden ging. Nichts lässt den Geist so frei umherwandern, wie der Aufenthalt in der Natur.
Die Neugier und die Fantasie sind sowohl für die HSP als auch für die Entwicklung der Menschheit als Spezies sehr wichtig. Sie unterhält uns nicht nur in Form von Büchern, Filmen, Spielen, Theater und Musik. Vielmehr sind Neugier und Fantasie die Triebfeder aller Entwicklungen in der Menschheitsgeschichte. Leider wird beides mittlerweile so strikt kanalisiert, dass sie der Leistungsgesellschaft dienen und nicht mehr dem persönlichen Wohl der HSP. Das kann durchaus schlimme Formen annehmen.
Eine Kollegin, studierte Biologin mit Doktortitel, hat einmal zu mir gesagt, dass sie es unfair findet, dass ich so viele Talente besitze und so kreativ bin. Ich schriebe Geschichten, musizierte, fotografierte, habe dauernd Ideen, was ich tun könne, um mir die Zeit zu vertreiben. Und sie habe all das nicht. Sie sitze nur herum und die Decke fiele ihr auf den Kopf. Dabei habe ich sofort erkannt, dass sie ebenfalls sehr kreativ war. Allerdings wurde sie darauf trainiert, diese Kreativität ausschließlich während ihrer beruflichen Tätigkeit auszuüben. Zuhause konnte sie mit sich nichts anfangen. Alles für die Produktivität!
Wir sollten anfangen, mehr auf die Bedürfnisse der Kinder einzugehen, anstatt sie ausschließlich dem Moloch Produktivität vorwerfen zu wollen, der sie auf lange Sicht verschlingt und krank wieder ausspuckt.
Wenn du hierzu nähere Informationen benötigst, weil du ein hochsensibles Kind bist oder eines hast, dann empfehle ich dir das Buch von Rolf Sellin »Mein Kind ist hochsensibel – Was tun?«
<Kinder, Fantasie und Realitätsflucht | Auffälligkeiten> |
Sie befinden sich mitten im Buch. Starten Sie mit dem Lesen bitte am Anfang.
Ich bitte Sie, das Vorwort und das Kapitel Selbstentwicklung zu lesen, bevor Sie fortfahren.