»Entweder mache ich das vernünftig oder gar nicht!«
Trifft dieser Spruch auf dich zu? Dein Anspruch an deine Arbeit oder an die Tätigkeiten, die du über den Tag verteilt verrichtest, ist recht hoch? Du möchtest alles am liebsten perfekt machen? Um dich herum sollen Harmonie und Schönheit herrschen? Du verstehst nicht, wie man etwas schlampig oder halb fertig erledigen kann? Doch oft frustriert dich das Ergebnis, das du zu Stande bringst? Dann hast du auch keine Lust mehr, die jeweilige Tätigkeit oder Arbeit weiter zu verfolgen?
Wir hochsensiblen Menschen haben ein eingebautes und fest verdrahtetes Gefühl dafür, was richtig und falsch ist. Wir erkennen das Richtige auf einen Blick und bemerken jeden noch so kleinen Fehler. Deswegen streben wir nach Perfektion. Nicht hochsensiblen Menschen ist das alles oft egal. Sie machen die Dinge so gut sie können oder noch nicht mal das. Einige leben auch nach der Maxime: ‚Ich tue genau so viel, wie ich muss. Keinen Deut mehr.‘ Damit könntest du nur schwer leben, nicht wahr? Das fühlt sich innerlich falsch an und es widerstrebt dir.
Das Blöde an deiner Einstellung ist jedoch, dass du dich unweigerlich überforderst. Der Mensch ist nicht dafür geschaffen, Perfektes zu schaffen. Das wird niemandem gelingen. Selbst wenn du instinktiv weißt oder fühlst, wie es perfekt wäre, fehlen dir garantiert die Mittel, dieses Ziel zu erreichen.
Dabei reichen oft 70 – 80 % des Aufwandes für ein ordentliches Ergebnis und diese fordern lediglich einen Energieeinsatz von 20 %. Später stelle ich hierzu noch das Pareto-Prinzip vor. (Siehe auch »Loslassen – Perfektionismus«).
Beispiel: Du sollst für deinen Auftraggeber einen Raum neu gestalten. Also die Wände streichen, das vorhandene Mobiliar unterbringen und arrangieren.
Jeder »normale« Mensch würde den Auftraggeber fragen, welche Tapete und Farbe er haben möchte. Dann würde er diese besorgen, den Raum tapezieren und bei Bedarf noch streichen. Anschließend würde er sich kurz überlegen, wie die Möbel nicht ganz so dumm herumstehen und die Sachen darin so unterbringen, dass es ein wenig Sinn ergibt.
Du hingegen notierst dir 10 Fragen, die du deinem Auftraggeber stellst. Über seine Lieblingsfarben, welche Emotionen der Raum hervorrufen soll etc. Dem Auftraggeber schlägst du vor, die Wände alle in unterschiedlichen Nuancen zu streichen, damit je nach Sonneneinfall und Tageszeit eine tolle Stimmung im Raum herrscht. Dann katalogisierst du die vorhandenen Möbel und Deko-Artikel, fertigst eine Skizze an, wie du alles vernünftig unterbringen kannst. Du holst dir ein Buch über Fengshui, schaust dir Schöner-Wohnen-Zeitschriften an oder schaust im TV Renovierungsshows. Du wälzt kiloweise Internetseiten und durchstöberst Shops nach Tapeten, Bodenbelägen und passenden Accessoires, die noch fehlen. Eventuell schlägst du noch den Wechsel bestimmter Möbelstücke vor, die in das jeweilige Design nicht hineinpassen. Insgesamt unterbreitest du deinem Auftraggeber 5 Vorschläge, wie du seinen Raum einrichten könntest. Am liebsten würdest du einen Computerspezialisten engagieren, der dir virtuelle Versionen des Raums in 3D erstellt. Leider ist das im Budget nicht enthalten. Der Auftraggeber ist gleichzeitig begeistert, aber auch ein wenig überfordert. Mit diesem Service hat er nicht gerechnet. Er benötigt mehrere Tage für alle Entscheidungen. Mit denen im Gepäck gehst du los, besorgst alles und beginnst mit dem Tapezieren. Da du dich häufiger mit der Länge der Bahnen vertust, brauchst du mehr Material. Das stellst du deinem Auftraggeber lieber nicht in Rechnung, da er ja nichts dafür kann, dass du so unkonzentriert arbeitest. Sind ja auch nur 5 Quadratmeter. Beim Malen verpinselst du dich ab und an und musst korrigieren. Du verbrauchst mehr Farbe als geplant, die du ebenfalls nicht abrechnest. Beim Einräumen der Möbel fügst du einigen davon Kratzer zu. Gut, die Möbel waren vorher auch gebraucht und hatten Abnutzungserscheinungen, aber für deine Schusseligkeit ziehst du noch mehr von der Rechnung ab. Als dir dann noch Deko-Objekte herunterfallen, ersetzt du diese nicht nur, sondern kaufst zusätzlich noch neue, die du toll findest. Du stellst sie auf den passenden Fleck im Raum. Zum Schluss hast du 3 Wochen benötigt um alles hinzubekommen. Der Raum sieht wunderschön aus, aber du bist noch nicht ganz zufrieden. Da du es nicht besser kannst, erlässt du dem Auftraggeber nochmals etwas vom Gesamtbetrag. Der Auftraggeber ist überwältigt und zahlt die viel zu billige Rechnung, ohne mit der Wimper zu zucken, und empfiehlt dich weiter.
Du bist fix und fertig und benötigst erst mal ein paar Tage zur Regeneration, bevor du den nächsten Auftrag annehmen kannst.
Der normalsensible Mensch hat 4 Tage für alles benötigt, der Raum ist zweckmäßig eingerichtet und abends konnte er noch mit Kollegen ausgehen oder seinen Hobbys frönen. Außerdem hat er die zusätzliche Tapete und Farbe in Rechnung gestellt. Für die zerstörten Deko-Objekte entschuldigt er sich lediglich. Der Auftraggeber ist trotzdem vollkommen zufrieden. Er weiß ja nicht, was DU mit dem Raum angestellt hättest. Die viel höhere Rechnung zahlt er, ohne mit der Wimper zu zucken, da der Preis so veranschlagt worden war und der Kostenaufschlag minimal ist. Der Auftraggeber empfiehlt ihn weiter, da er seine Aufgabe erwartungsgemäß erfüllt hat. Der »normale« Mensch geht zufrieden nach Hause und kann am nächsten Tag einen neuen Auftrag annehmen.
Das Interessante dabei ist, dass die Erwartungen an das Ergebnis 60 – 70 % der perfekten Lösung nicht übersteigen. Wenn man also eine Aufgabe zur Zufriedenheit der Anderen erledigt und dabei nur zwei Drittel Aufwand betreibt, ist alles gut. Wir Hochsensiblen sehen das nur nicht so. Von anderen erwarten wir meistens keine Perfektion, das ist reiner Selbstanspruch. Probiere es einfach einmal aus. Wenn dein Chef, deine Chefin oder ein Kunde dir nächstes Mal einen Auftrag erteilt, dann erledige ihn zunächst einmal zu 80 %. Es wird dir sehr leicht fallen, diese Anforderung zu erfüllen. Du wirst feststellen, dass dies deine Auftraggeber vollkommen zufrieden stellt. Wenn du dich nicht dazu überwinden kannst, dann sieh es einmal so: Du lieferst immerzu annähernd perfekte Arbeit ab. Meistens frühzeitig vor dem geforderten Termin. Das kostet dich eine Unmenge an Kraft, für die du gar nicht entlohnt wirst. Jetzt lieferst du einmal nur 80 % ab. Da dies das erste Mal ist, kannst du Kulanz von deinem Auftraggeber erwarten, falls er nicht zufrieden sein sollte. Dein Gegenüber wird schlimmstenfalls denken: »Naja, jeder hat mal einen schlechten Tag.« Schließlich kannst du nachbessern.
Ich wette mit dir, dass dein Auftraggeber oder Chef zufrieden sein wird. Er wird nichts beanstanden und dich sogar weiterempfehlen oder dir mal ein Lob zukommen lassen. Die gewonnene Zeit kannst du dafür nutzen, langsamer und bedächtiger zu arbeiten. Du bist nicht mehr so stark überfordert, viel entspannter und kannst in deiner Freizeit mehr Dinge tun, die dir Spaß machen. Du musst nicht mehr so lange regenerieren. Deine Auftraggeber werden dir im Endeffekt dankbar sein, dass du immer noch bessere Arbeit ablieferst als die meisten anderen um dich herum und dabei so entspannt bleibst.
Ein anderer Grund, warum du so verfahren solltest, ist deine Fürsorgepflicht dir selbst gegenüber. Hochsensible halten sich gerne in anderen Menschen auf, versetzen sich in sie hinein, fühlen und denken für sie mit. Dabei vergessen sie häufig sich selbst. »Andere sind wichtiger, als ich«, habe ich schon als Aussage dazu gehört. »Das kann ich schon ab und ich will es ja auch so.« Doch die Selbstfürsorge ist eine elementare Notwendigkeit. Die dauerhafte Überreizung schleicht sich langsam ein. Aus einem »Ja, das mache ich ausnahmsweise mal noch mit und ich will es perfekt machen« wird irgendwann nach Jahren eine Besessenheit, die das Nein-Sagen gar nicht mehr beinhaltet und in jeder Tätigkeit perfekt sein will. Dabei brauchst du stattdessen Zeit für dich und Zeit für die Verarbeitung der vielen Reize. Du musst zuvorderst für dein Wohlbefinden sorgen. Und zwar in jedem Aspekt deines Lebens. Erst wenn es dir richtig gut geht, kannst du für andere sorgen oder deine Aufträge besonnen und gut erledigen. Das Augenmerk hierbei liegt auf gut und nicht auf sehr gut bis perfekt.
<Der WOW-Effekt | Effektivität> |
Sie befinden sich mitten im Buch. Starten Sie mit dem Lesen bitte am Anfang.
Ich bitte Sie, das Vorwort und das Kapitel Selbstentwicklung zu lesen, bevor Sie fortfahren.