Durch die Gehirntätigkeit, die permanent auf hohem Level läuft, werden HSP in jungen Jahren oft als hochbegabt eingestuft. Der Intelligenzquotient wird immer im Vergleich zur jeweiligen Altersstufe festgesetzt. Also Kinder und Jugendliche, die besser abstrahieren und mehr Gehirnarbeit bewältigen können, haben einen höheren IQ. Viele HSP-Kinder haben zudem einen hohen EQ (Emotionalen Quotienten), sind also sehr empathisch.
Hochsensible Kinder (HSK) besitzen oft eine lebhaftere Fantasie als die Gleichaltrigen. Leider werden diese Fähigkeiten, besonders die Fantasie und die Emotionalität, den Kindern in unserem westlichen Schulsystem häufig aberzogen. Emotionen und Fantasie stehen der Produktivität als Erwachsener im Weg. Zudem haben unaufgeklärte Eltern von Kindern mit lebhafter Fantasie häufig die Angst, dass ihre Kinder einen Hang zur so genannten »Realitätsflucht« oder noch viel schlimmer – zu schweren psychischen Störungen – haben. »Nun spinn mal nicht so rum«, bekommen solche Kinder von Erwachsenen mit wenig Fantasie viele Male am Tag zu hören. Sie werden so oft dafür getadelt, dass die Kinder es sich verkneifen, ihre Fantasie zu zeigen und sich diese selbst abtrainieren oder unterdrücken. Die Folge davon sind dann echte psychische Schäden. Die Fantasie ist nicht weg, sondern sorgt immer für Schuldgefühle, wenn sie an die Oberfläche steigt. Genauso entwickelt es sich bei den Emotionen. In unserem Kulturkreis werden Menschen, die große Emotionen oder viele davon zeigen, schief angeschaut. Wenn ein wildfremder Mensch dich auf den ersten Blick total sympathisch finden, sofort auf dich zukommen, dich umarmen und sagen würde: »Ach es ist so schön, einen so lieben Menschen kennenlernen zu dürfen.« Wie würdest du reagieren? »Der kennt mich doch gar nicht, bestimmt ein Psycho, der hat einen an der Murmel.« Oder wenn jemand gerade einen lustigen Gedanken hat, weil er beim Verarbeiten all der Eindrücke über spaßige Beobachtungen gestolpert ist und mitten auf der Straße anfängt, ohne ersichtlichen Grund laut zu lachen. Wenn jemand so sehr vom Anblick der Blütenpracht im Stadtpark berührt wird, dass seine Emotionen überlaufen und er vor lauter Rührung (Berührtheit) anfängt zu weinen. Wie würdest du reagieren? Als Kind tun wir so etwas noch und werden dafür umgehend getadelt, wenn ein Erwachsener in der Nähe ist. Nichtsdestotrotz sind all diese Dinge in uns und finden dort unweigerlich statt, denn sie sind ein Teil von uns. Ich habe z. B. ein Problem damit, dass ich einfach losheulen könnte, wenn ich bestimmte Lieder höre, die einfach so schön und perfekt sind, dass ich sie nur staunend bewundern kann und mich frage, wie der Künstler das hinbekommen hat. Oder wenn Filmszenen so echte Emotionen transportieren, dass ich sie in mir mit durchlebe. Wie gut, dass die meisten davon nicht ständig im Radio oder Fernsehen laufen. Doch würde ich dies in der Öffentlichkeit ausleben, würde ich als Verrückt gelten. »Da war doch gar nix, warum heult der Kerl da? Ist der bekloppt?«
Hochsensible Kinder nehmen sich Kritik und Bestrafungen mehr zu Herzen als normalsensible Kinder. Beides löst in ihnen tiefere Schamgefühle aus. Oft fühlen sie sich nicht mehr geliebt, wenn Strafen auf die althergebrachte Weise verhängt werden.
Da hochsensible Kinder sehr gut in den Erwachsenen lesen können und sofort merken, wenn diese nicht hinter ihren Aussagen und Entscheidungen stehen oder gar lügen, sind oft die Erwachsenen der Auslöser für bestimmte Verhaltensweisen der Kinder. Wenn sie dann noch dafür bestraft werden, dass sie auf den Erwachsenen reagiert haben, trifft sie dies doppelt. Eltern von hochsensiblen Kindern sollten möglichst ehrlich und wahrhaftig mit ihren Sprösslingen umgehen. Erinnern wir uns: HSP und HSK durchschauen Lügen und Manipulationsversuche viel präziser und schneller, als Normalsensible.
Ein weiterer Aspekt ist die Bindung von HSK zu ihren Eltern. Wenn die HSK einen hohen EQ besitzen, also auch sehr empathisch sind, ist die Bindung zu den Eltern oder zu einem HSP-Elternteil sehr eng. Sie halten sich oft im anderen auf und beobachten sehr genau, wie dieser das Leben meistert. Genauso ist der HSP-Elternteil ebenso oft beim Kind und macht sich viele Gedanken und Sorgen um den Sprössling. Diese besondere Beziehung trägt oft bis weit ins Erwachsenenalter des HSK hinein und ist bisweilen extrem fragil, wenn einer der beiden unvorsichtig damit umgeht.
Es gibt so viele Facetten in diesen Beziehungen zu beachten, die ich in diesem Text nicht verarbeiten kann und auch nicht den Anspruch daran habe, es zu tun. Deswegen möchte ich dir das Buch »Mein Kind ist hochsensibel – was tun?« von Rolf Sellin empfehlen. Dort werden alle Punkte ausführlich dargelegt.
Zur Realitätsflucht: Hochsensible Kinder »flüchten« (genauso wie Erwachsene auch) aus der Realität und ziehen sich in ihre »eigene Welt« zurück, um die Eindrücke, die sie gesammelt haben zu verarbeiten. Sie benötigen dazu eine Umgebung, die für uns komfortabel und sicher ist, sie müssen sich darin wohlfühlen. Reizarm muss sie sein: Leise, nicht zu hell, nicht zu viele visuelle Reize, vor allem keine unbekannten. Dann lassen sie ihren Gedanken freien Lauf und leben ihre Fantasie aus, während ihr Gehirn seine Tätigkeit verrichtet. Dieser Rückzug aus allem ist lebensnotwendig. Alles andere hat eine Überlastung des Gehirns zur Folge. Gerade in Familien mit unruhigem Umfeld, in der vielleicht nur die Mutter und ein Kind hochsensibel sind, ziehen sich die Kinder tiefer in ihre Fantasiewelt zurück. Sie suchen ihr kleines Fleckchen Ruhe und Geborgenheit. Auch normalsensible Kinder müssen nach einer gewissen Zeit ihre Eindrücke verarbeiten. Nur sind es weniger Eindrücke in einem längeren Zeitraum. Für sie genügt meist die Nachtruhe. HSP benötigen ihre Pausen zwischendurch. Und da wir auf dem Weg zum Erwachsensein eingebläut bekommen, dass große Kinder und Jugendliche keinen Mittagsschlaf mehr halten, geht uns diese Zeit verloren. Wer sie sich dennoch nimmt, wird unter Generalverdacht der Faulheit gestellt.
Also bleibt nur diese »Realitätsflucht« in Spiel- oder Lesewelten, Filme und Serien. Fantasie und Ruhe sind für uns lebenswichtig und gesundheitsrelevant.
Ein Teil der HSK flüchtet sich leider in zu viel Medienkonsum, was ihren Körper zwar ruhen lässt, jedoch ihr Gehirn wieder mit Reizen füttert. In jungen Jahren, wenn noch genügend Energie vorhanden ist und die Regenerationszeiten noch nicht so lang sind, neigen einige HSK und HSP dazu, sich systematisch zu überreizen, um ihre Andersartigkeit zu betäuben und sich nicht mit sich selbst beschäftigen zu müssen. Eltern sollten hier stärker regelnd eingreifen und das Kind auch mal dazu motivieren nichts zu tun. Langeweile ist heilsam und fördert die Kreativität.
Um noch einmal kurz auf meine Einleitung oben zurückzukommen: Wenn ein Kind eine HSP ist und die Eltern dieses Konzept nicht kennen oder nicht dran glauben wollen, wird die Intelligenz des Kindes oft heruntergespielt und unterdrückt. Dies ist gerade in den »mittleren und unteren sozialen Schichten« der Fall. Hier darf keiner schlauer als die anderen sein. Zudem würde das die anderen herabsetzen und in der Schulbildung höhere Kosten verursachen, die die Familie eventuell nicht tragen kann. Deswegen wird dem Kind oft eingeredet, dass seine Wahrnehmungen nicht stimmen oder es sogar dumm ist. Also wird es noch gegenüber den anderen Kindern herabgesetzt. Da die Wahrnehmung des Kindes nun »gestört« ist, entwickelt es Schuldgefühle und fühlt sich wie ein Lügner oder wie ein Verrückter. Denn das, was es unumstößlich wahrnimmt, passt nicht zu dem, was von den Erwachsenen als Wahrnehmung akzeptiert und vermittelt wird. Diese Diskrepanz kann zu psychischen Krankheiten führen.
Zum Glück wird heute in den öffentlichen Bildungseinrichtungen und bei Psychotherapien die Maxime verfolgt, dass Wahrnehmung nicht verhandelbar ist und jedem das von ihm Wahrgenommene zugestanden werden muss.
<Männer haben es schwer | Hochbegabte Höchstleistung> |
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Ich bitte Sie, das Vorwort und das Kapitel Selbstentwicklung zu lesen, bevor Sie fortfahren.