Bevor ich wusste, dass ich eine hochsensible Person bin, habe ich mir alle möglichen Zusammenhänge bereits selbst zusammengetragen. Zum Beispiel, dass mein Gefühl für mich und andere mich selten trügt, wenn ich meinen Kopf ausschalte. Ich hatte keine Technik, das Kopfausschalten gezielt umzusetzen, aber wenn ich mich sowieso in dem Stadium befand, klappte es mit dem Bauchgefühl immer zielsicher. Sehr viele Ergebnisse meiner Analysen trafen im Nachhinein zu, auch wenn ich es immer angezweifelt hatte. Auch Zusammenhänge mit der Hochsensibilität hatte ich vorher schon erfasst, zum Beispiel dass ich mehr Ruhe brauchte als andere, dafür aber in der Zeit, in der ich meinen Tätigkeiten nachging, einfach schneller, präziser und effektiver arbeitete. Zuerst fand ich die Vermutung selbst anmaßend, aber die Ahnung verfestigte sich immer mehr mit der Zeit, wenn ich meine Arbeit mit der von anderen verglich.
Außerdem stellte ich immer wieder die seltsamen Verkettungen fest, die dazu führten, dass ich Menschen begegnete, die sich im Nachhinein als sehr wichtig für mich entpuppten, oder dass ich Dinge bekam, die ich mir eigentlich nicht leisten konnte, aber dringend benötigte.
All diese Sachen und noch viel mehr trug ich unbenannt und unzusammenhängend mit mir herum.
Da ich meinen Kopf nicht verdrängen oder ausschalten konnte und er das Gefühl für Menschen und Ahnungen für kommende Ereignisse überlagerte, dachte ich häufig, dass es sich nur um Wunschdenken handelte. Besonders wenn die Ahnung für mich vorteilhaft ausfallen konnte. Hier suchte ich immerzu Bestätigung meiner Vermutungen und Erkenntnisse bei anderen. Das ist ein zweischneidiges Schwert. Denn zu Anfang wurden von den Menschen, an die ich mich wandte, meine Erkenntnisse und Ahnungen negativ bewertet und mir meine Wahrnehmungen und Fähigkeiten abgesprochen. Das lag vor allem daran, dass ich mich an die falschen Menschen wandte, weil ich die richtigen nicht kannte. Sie verfügten nicht über mein Spektrum an Wahrnehmungen. Sie fanden es unwahrscheinlich, dass ich alles wahrnehmen konnte, was ich ihnen beschrieb. Schließlich konnten sie es nicht. Das hat mich Jahre und sogar Jahrzehnte in manchen Bereichen zurückgeworfen. Mein Selbstvertrauen wurde geschwächt und ich traute irgendwann meinem Gefühl gar nicht mehr.
Bis ich eines Tages hochsensible Menschen kennen lernte, die mein Wahrnehmungsspektrum teilten und zu ähnlichen Ergebnissen kamen wie ich. Natürlich sucht sich der Mensch nach psychologischen Gesetzen eher andere Menschen aus, die ihn bestätigen. Doch waren die Ergebnisse für mich und die HSP um mich herum überprüfbar. Ich habe mir meine Ahnungen und Schlussfolgerungen sogar eine zeitlang notiert, um sie später prüfen zu können. Je mehr HSP ich nun kennen lernte, desto mehr wuchs mein Vertrauen in mein Gefühl wieder. Die Bestätigung hat mir sehr geholfen.
Die endgültige Bestätigung, dass ich so richtig bin, wie ich bin, erhielt ich durch die Lektüre meiner ersten beiden Sachbücher zum Thema HSP. Dort wurden alle Aspekte, die ich getrennt voneinander in meinem Leben bereits festgestellt hatte, fundiert bestätigt und miteinander in Beziehung gesetzt. So entstand aus einzelnen Fähigkeiten plötzlich ein nützliches Geflecht und aus den vielen Nachteilen eine zusammenhängende logische Struktur von Nebenwirkungen. Ich wusste das meiste bereits instinktiv, bekam aber nun noch offizielle Bestätigung, dass alles an mir vollkommen normal ist, wenn man den Betrachtungsrahmen verändert.
Aber wieder brauchte ich die Bestätigung von außen, um das anerkennen zu können.
Worauf ich eigentlich hinaus will ist, dass ich heute einen Schritt weiter bin. Solange die Synchronisation meines Neugeborenen-Ichs mit meinem Höhren-Ich und der damit verbundenen Entmachtung meines Erwachsenen-Ichs (Ego, Kopf, Gedankenkreisläufe, etc.) wirkt, benötige ich keine Bestätigung mehr von außen. Wenn ich ein Gefühl, eine Vorahnung oder etwas kombiniert habe, bitte ich einfach mein Höreres-Ich, das zu validieren, und bekomme teils sofort, teils nach dem nächsten Mal schlafen oder meditieren die Bestätigung, ob ich richtig liege oder nicht. Somit erspare ich mir die Menschen, die mich von außen bestätigen. Seitdem komme ich sehr gut allein zurecht. Trotzdem frage ich ab und an nach der Meinung eines anderen, um die »Eichung« meines Systems zu prüfen. Es könnte ja auch mal aus dem Lot geraten. Zum Beispiel, wenn mein Erwachsenen-Ich wieder seine Gedankenkreise zieht. Man darf sich im Leben nie zu sicher sein, ist eines meiner Mottos.
<Die Berufung | Überreizt und nun?> |
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Ich bitte Sie, das Vorwort und das Kapitel Selbstentwicklung zu lesen, bevor Sie fortfahren.