In letzter Zeit habe ich mehrere Menschen in meiner Umgebung gefragt, ob sie sich denn selbst lieben. Nicht alle, aber die meisten davon waren Hochsensible. Die Antworten waren beinahe immer dieselben.
- Ja.
- Nein, wieso?
- Das will ich auch gar nicht!
- Ich akzeptiere mich, wie ich bin, gebe auf mich Acht und mag mich im Großen und Ganzen.
Um die nicht »Ja« lautenden Antworten genauer zu betrachten, muss ich vorwegnehmen, dass die meisten Personen überhaupt nicht wussten, was ich wirklich meinte.
Leider ist das Thema Selbstliebe durch Religionen und Erziehung bei vielen Menschen mit einem falschen Kontext belegt. In etlichen religiösen und humanphilosophischen Schriften ist irgendwo erwähnt, dass man sich selbst lieben sollte. In der Bibel zum Beispiel steht unter 3. Mose 19,18: »…und sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.« Manche Menschen übersetzen dies mit: »Du sollst deinen Nächsten lieben und ihm Gutes tun, egal, wie es dir dabei geht.«
Außerdem wird der Begriff Selbstliebe häufig mit den Begriffen Egoismus und Narzissmus (Selbstverliebtheit) gleichgesetzt.
Egoismus würde ich definieren als die Überhöhung des eigenen Selbst über andere und die Vorrangstellung der eigenen Bedürfnisse vor denen anderer und auf Kosten anderer. Dies geschieht nach meinen Erfahrungen aus der Angst, selbst zu kurz zu kommen und von anderen nicht genügend wahrgenommen und geachtet zu werden. Egoismus geht oft mit dem Gedanken einher, dass die eigene Meinung die einzig relevante ist und dass man ohne Fehler ist. »Alles Gute zu mir, den Rest können die anderen haben«.
Narzissmus geht auf die Geschichte des griechischen Narziss zurück, der so sehr in sein eigenes Antlitz verliebt war, dass er die Liebe anderer zurückwies und sich schließlich in den Tod stürzte. Heutzutage werden Menschen Narzissten genannt, die ein tiefes Minderwertigkeitsgefühl mit einer übersteigerten Einschätzung der eigenen Wichtigkeit kompensieren. Das bedeutet in der Praxis, dass sie selbst kleine Dinge, die sie vollbringen als großen Erfolg verkaufen. Sie können im Berufsleben sehr weit nach oben gelangen, indem sie gegenüber ihren Vorgesetzten riesige Ballons mit warmer Luft aufpumpen und sich als effektiv und mit scheinbarer Expertise bewaffnet ausweisen. Die Behauptungen der Personen lassen sich recht einfach mit einem Tatsachenabgleich oder rein fachlicher Argumentation aushebeln. Leider sind Narzissten in unserer Gesellschaft gern gesehen, da sie darauf bedacht sind, mit den für sie wichtigen Personen in Linie zu schwimmen und sich nur mit für ihre Zwecke wichtigen Personen zu vernetzen.
Beides hat jedoch nichts mit Selbstliebe zu tun. Einige Personen gaben auch an, Angst zu haben, sich selbst zu lieben, da sie eine Zügellosigkeit dahinter vermuten. Sie haben von klein auf gelernt, dass Zügellosigkeit immer ins Verderben führt, was nicht falsch ist.
Auch Zügellosigkeit hat nichts mit Selbstliebe zu tun. Aber was ist Selbstliebe dann?
Andere meinten eben, dass man doch selbstlos andere lieben soll und nicht sich selbst. Das kannst du natürlich tun und vielleicht wirst du als nächste Mutter Theresa in ein Geschichtsbuch eingehen. Nur wirst du dich vermutlich so auch selbst vernachlässigen und nicht wirklich frei und glücklich leben.
Dabei ist es ein in uns eingepflanztes Bedürfnis frei und unabhängig zu leben.
Freiheit bedeutet in dem Zusammenhang nicht, dass man entscheiden kann, was man tun und lassen kann, sondern dass man keinen Zwängen unterliegt, die das Leben unwürdig machen. Als Beispiel führe ich hier eine Diktatur an, die ihre Bürger ausbeutet und stark reglementiert, wie sie in den asiatischen Ländern teilweise vorherrscht. Wir wollen keine Sklaven sein, sondern über unser Leben selbst bestimmen können. Wahre Freiheit entsteht aber erst, wenn man seine Ängste abgelegt hat und sich nicht selbst im Sinne anderer reglementiert.
Ich würde Selbstliebe folgendermaßen definieren, bzw. so fühlt es sich für mich richtig an:
Der erste und wichtigste Punkt ist die Gleichstellung der eigenen Person mit allen anderen Menschen. Du besitzt denselben Wert, wie jeder andere Mensch auch. Behandle dich also auch so. Sowohl im Kopf, im Herzen und auch im Leben. Wenn du Minderwertigkeitskomplexe hast und dich nicht gleichauf mit den Menschen in deiner Umgebung fühlst, solltest du daran arbeiten. Du hast deine eigenen Fähigkeiten, die du einbringen kannst. Bewerte sie richtig. Sehne dich nicht nach einem Können, das andere besser beherrschen oder du gar nicht beherrschst. Oder versuche es zu erlernen, falls es dir wichtig genug ist. Genauso solltest du dich nicht höher stellen als alle anderen. Deine Fähigkeiten sind nicht mehr wert und du hast ebenso viele Schwächen wie alle anderen. Du bist ein Teil des Ganzen und nicht wichtiger. Du leistest ebenso deinen Beitrag, wie alle Menschen.
Als zweiten Punkt solltest du akzeptieren, dass du selbst begrenzt bist und dich auch entsprechend selbst begrenzen. Das schließt ein, dass du bestimmte Dinge niemals können wirst, weil du dafür nicht geschaffen bist. Außerdem bestimmt dein Körper die Grenzen deines Geistes und deines Herzens, da der Körper sich immer im Hier und Jetzt befindet. Er kann nur eine bestimmte Menge Eindrücke, Stress und körperliche Reize (Schmerzen, Hunger, Durst usw.) verarbeiten. Der Geist kann Flüge durch Zeit und Raum und an alle Orte unternehmen, die er sich erdenken kann. Das Herz kann mit ungestümer Wucht Angst verspüren, lieben oder hassen. Die Seele (in der Religion und Philosophie) existiert an allen Punkten der Zeit gleichzeitig. Nur der Körper besitzt immer Mechanismen, die jede Form der Übertreibung bremsen sollen. Missachtet man diese, muss man mit späteren Folgen rechnen.
Der dritte Punkt wäre die Demut. Hier bitte nicht demütig mit devot verwechseln, das sind zwei unterschiedliche Dinge. Devote Menschen ordnen sich freiwillig anderen Menschen unter und befolgen deren Anweisungen.
Demut hingegen ist die Einsicht, dass es höhere und unerreichbare Dinge im Leben gibt. Die Grundeinstellung des demütigen Menschen ist, das wertzuschätzen, was man hat und nicht neidisch nach dem zu schauen, das man nicht hat. Sei zufrieden mit deinem Status und Stand, mit deinem Besitz und mit den Menschen, die du um dich hast. Das bedeutet wiederum nicht, dass du nicht danach streben kannst, all dies zu verbessern. Du solltest es nur nicht tun, weil du gerne reich und mächtig sein möchtest um des Reichtums und der Macht willen. Suche nur dort nach Besserung, wo du den derzeitigen Zustand nicht ertragen oder hinnehmen kannst. Zum Beispiel bei Menschen, die dir nicht gut tun oder wenn du dich in unzumutbaren finanziellen Umständen befindest, wenn du einst den falschen Beruf erlernt hast und er dich psychisch oder körperlich zu Grunde richtet oder dir so gar nichts mehr gibt. Hier solltest du in verträglichem Schrittmaß Veränderungen herbeiführen.
Wenn du schon deine Begrenztheit akzeptiert hast und in Demut lebst, dann bist du sicher auch mit dir zufrieden. Nein? Das ist aber wichtig. Du solltest Deinen Körper so akzeptieren, wie er ist. Mit allen Vor- und Nachteilen, die er bietet. Du bist schön, wie du bist. Wenn du starke funktionale Einschränkungen hast, dann zählt das hier nicht mit dazu. Gemeint sind eher die leicht schiefe Nase oder die Segelohren, die dich stören, oder die Speckröllchen an den falschen Stellen, die du nicht leiden kannst. Du findest deine Füße hässlich? Sei froh, dass du welche hast, die dich zuverlässig durch die Welt tragen. Du hast Allergien oder Nahrungsunverträglichkeiten? Dein Herz arbeitet nicht ganz zuverlässig? Dich plagen regelmäßig Migräne oder Menstruationsbeschwerden? Egal, was dir an dir nicht gefällt, du solltest nicht nur akzeptieren, dass es zu dir gehört, sondern beginnen, es zu lieben. Das hört sich nach Quatsch an? Wie kann ich meine schiefe Nase lieben, wo doch meine Nachbarin eine perfekt gerade Nase hat, die sie mir immer vor Augen hält? Oder wie soll ich meine Migräne lieben, sie verursacht mir Schmerzen!
Wenn du dich annimmst, werden deine Wahrnehmung und dein Bewusstsein sich verändern und du wirst alles mit anderen Augen sehen. Wenn es sich bei den Schmerzen um Grenzwächter handelt, dann kann es sein, dass sie verschwinden, wenn du deine Grenzen achtest. Stress zum Beispiel löst viele Schmerztypen aus.
Zur Selbstliebe gehört es auch, sich selbst genug zu sein. Du brauchst niemanden, um glücklich zu sein. Das Glück kommt aus dir selbst heraus. Es gibt niemanden auf der Welt, der dich wirklich glücklich machen kann. Wenn du ein Loch verspürst irgendwo, wo Sehnsucht oder Unzufriedenheit gären, dann bist du nicht wirklich glücklich. Warte nicht auf den Partner, der dich glücklich und zufrieden macht. Warte nicht darauf, dass deine Lebensumstände besser werden oder einen bestimmten Stand erreichen oder gar auf den perfekten Moment. Das alles wird niemals kommen. Wenn du nicht in dir selbst glücklich bist, wird es nichts und niemanden geben, der oder die das auf Dauer für dich herstellen kann. Lebe im Jetzt und sei jetzt glücklich.
Die Kunst ist, sich selbst zu lieben, wie man ist, mit allen Stärken und Schwächen, Krankheiten und Ängsten und mit allen Hindernissen, die die Welt einem vor die Füße wirft. Die Liebe wird dich befreien. Sie wird dich wirklich glücklich machen. Sie gibt dir die Kraft und die Energie, alles zu schaffen, was du möchtest.
Wenn du dich fragst, wie es sich anfühlt, wenn du dich selbst liebst, dann kann ich nur sagen, dass es ein tiefes, erfülltes und warmes Gefühl ist. Wenn du jemals jemanden geliebt hast, dann weißt du, wie du für ihn gefühlt hast oder fühlst. So fühlt es sich auch in Bezug auf dich selbst an.
Und jetzt kommen wir zu dem Punkt, den die meisten Menschen bemängeln. Sie meinen, wenn man sich selbst genug ist und sich selbst liebt, dass dann ja keine Notwendigkeit besteht, andere zu lieben und für andere da zu sein.
Das ist zwar möglich, aber sehr unwahrscheinlich. Menschen, die nur für andere da sind, sind oft sehr stolz darauf, dass sie sich selbst vernachlässigen, damit andere wachsen oder gesunden. Das entsteht häufig aus dem Bedürfnis sagen zu können: Schaut mal her, wie sehr ich mich aufopfere! Ich bin mir nicht wichtig, sondern kümmere mich nur um andere! Das ist wahre Größe und alle, die dies nicht so tun, sind selbstsüchtig!
Auch wenn sie dies nicht laut sagen, sondern meist nur zu sich selbst. Manche holen sich damit auch Selbstbestätigung und ein gutes Gefühl. Andererseits gibt es auch Menschen, die sich mit der Selbstaufopferung identifizieren, weil sie glauben, dass es so sein muss. Dies ist aber wie bereits gesagt selbstzerstörerisch.
Wenn du glücklich bist und dich selbst liebst, hast du auch die Energie, die Kraft und die Ausdauer, die es erfordert, für andere da zu sein. Wenn du auf dich achtest und gut für dich sorgst und alle deine Schwächen und Fehler liebst, dann fällt es dir auch leichter, die Fehler der anderen anzunehmen. Man stört sich immer am meisten an den Fehlern, die man selbst in sich trägt. Für jemand anderen zu sorgen, der dich ständig an deine eignen Fehler erinnert und an dem du dich immerzu reibst, reibt dich im wahrsten Sinne des Wortes auf.
Natürlich brauchst du mehr Zeit für dich am Tag als jemand, der sich selbst vernachlässigt, doch auf deine Lebenszeit gerechnet, kannst du viel länger und qualitativ besser helfen, da die anderen schneller »ausbrennen« und dabei die Qualität ständig sinkt. Außerdem hinterlässt das Höherstellen anderer Menschen oftmals psychische Schäden wie Traumata und Minderwertigkeitskomplexe.
Vorteile von Selbstliebe:
Selbstliebe trotzt den Lebensumständen. Schicksalsschläge nimmst du nicht mehr so tragisch wahr, da das Gefühl der Liebe dich permanent erfüllt, wenn du sie einmal gefunden hast. Sie ist wie ein Schutzwall gegen die Unwägbarkeiten des Lebens. Durch so leichter gemeisterte Probleme und Hindernisse erhältst du mehr Resilienzen und mehr Vertrauen auf dich.
Gerade bei der Partnersuche werden glückliche, zufriedene und ausgeglichene Menschen erfolgreicher sein. Da dein Selbstvertrauen gewachsen ist, lässt du dich nicht mehr so schnell aus der Bahn werfen und behältst deine Standpunkte auch im Spiel um die Liebe, das beeindruckt wiederum deine Interessenten.
Wenn du dich selbst liebst und deswegen glücklich bist, kannst du andere Menschen tatsächlich mehr lieben und respektieren. Vielleicht ja sogar alle Lebewesen auf dieser Welt.
Durch Selbstliebe förderst du positives Denken. Positive Glaubenssätze wirken sich positiv auf deine Entscheidungen aus und somit positiv auf dein ganzes Leben.
Es gibt eigentlich nur Vorteile. Wenn dir noch mehr einfallen, dann lass es mich gerne wissen.
Eine letzte Anmerkung: Mit der Selbstliebe verschwindet nicht dein Bedürfnis nach einem Partner oder der Liebe anderer Menschen. Du bist nur nicht mehr davon abhängig und rennst ihr nicht mehr hinterher.
<Stehender Baum Meditation | Urvertrauen> |
Sie befinden sich mitten im Buch. Starten Sie mit dem Lesen bitte am Anfang.
Ich bitte Sie, das Vorwort und das Kapitel Selbstentwicklung zu lesen, bevor Sie fortfahren.