Geduld ist eine Tugend. Das sagte mir bereits meine über siebzigjährige Großmutter. Und sie hatte Recht.
Ungeduld führt zu Unruhe. Unruhe führt zu Nervosität. Nervosität führt zu Unausgeglichenheit und Unzufriedenheit. Das sind Zustände, die genau gegenüber den Zuständen stehen, die wir anstreben: Ruhe, Frieden, Ausgeglichenheit, Achtsamkeit, Harmonie.
Wir beginnen unser bewusstes Leben als ungeduldige Kinder und werden in einer Welt, in der es nur um das Produzieren und Anhäufen von möglichst vielen Besitztümern in möglichst wenig Zeit geht, nicht besonders dazu ermuntert, Geduld zu erlernen. »Jetzt haben wollen« ist die Maxime dieser Zeit. Schnell lernen, schnell arbeiten, schnell Geld verdienen, schnell Dinge kaufen, schnelle Lieferung erhalten oder sogar am besten gleich mitnehmen. Der Alltag ist darauf getrimmt, möglichst effektiv gestaltet zu werden, damit man ja keine Zeit verliert. Zeit ist beinahe schon eine Währung, das Gut, dass uns neben dem Geld am Wichtigsten ist, da wir augenscheinlich zu wenig davon besitzen. Trotz aller Eile verrinnt die Zeit zwischen unseren Fingern.
Spiele für Kinder werden mittlerweile konzipiert, um dem Spielenden schnelle Erfolgserlebnisse zu verschaffen. Gerade Computerspiele zielen darauf ab. Kinder werden erzogen und beschult, dass sie in möglichst kurzer Zeit effektive Arbeitnehmer oder Selbstständige werden. Schulsysteme werden getrimmt, damit sich schnelle Erfolge einstellen. Ist etwas zu schwer, wird es vereinfacht, statt den Kindern mehr Zeit zu geben. Wir sollen alle möglichst schnell funktionieren. Im Beruf ist es dann dasselbe. Wir werden mit Abgabeterminen gegängelt, die nicht einzuhalten sind, da sie viel zu kurzfristig gesteckt werden. Die elektronische Kommunikation hat die Wege so verkürzt, dass immer schnellere Reaktionszeiten erwartet werden. Auftragserteilung, Erledigung, Rückmeldung und Kontrolle sollen so schnell stattfinden, wie es nur menschenmöglich ist.
Wenn man nicht schnell genug lernt oder reagiert, wird man für Tätigkeiten eingesetzt, in denen man nur schnell genug immer die gleichen Handbewegungen machen muss. Effektivität und Geschwindigkeit stehen klar im Vordergrund.
Unsere Gesellschaft und die Welt sind ungeduldig mit uns, seit wir denken können. Uns wird die Ungeduld allenthalben vorgelebt. Wer kann uns da verübeln, dass wir selbst ungeduldig sind? Und doch ist die Ungeduld ein Gift, das wir in uns mitschleppen. Wir sind nicht dafür gebaut, ungeduldig zu sein. Denn auch die Ungeduld hält uns davon ab, unsere Berufung zu finden und zu leben. Wenn wir etwas beginnen, das uns nicht schnell genug gelingt, lassen wir es deswegen schnell wieder und geben auf. Ungeduld kann dazu führen, dass wir das Loslassen übertrieben schnell vorantreiben und deswegen auf der Nase landen.
Dabei sind wir Hochsensiblen eigentlich ganz anders gebaut. Im Normalfall stoßen wir etwas an, warten ab wie es verläuft und reagieren erst, wenn es an der Zeit ist. Das ist unsere Art, Dinge zu tun. Oder wir bemerken schon aus weiter Ferne, dass etwas auf uns zukommt, warten ab, bis es da ist und reagieren dann. In der Zwischenzeit kümmern wir uns um andere Dinge. Für uns ist das Leben wie ein Fluss, auf dem viele Fässer schwimmen. Wir warten ab und suchen uns das Passende heraus. Abwarten, bis sich die Teile zusammenfügen, dafür benötigt man Geduld.
Deine Ungeduld sorgt dafür, dass du Zusammenschlüsse erzwingst, wo keine sind. Du öffnest die Fässer, die gar nicht für dich gedacht sind, und entnimmst dir Dinge, die dir nicht helfen. Zudem verschwendest du Unmengen an Energie, an die Fässer zu gelangen, die eigentlich zu weit weg für dich schwimmen. Du benutzt dafür zum Beispiel einen Kescher an einem langen Stiel, um sie einzuholen. Oder du überlegst dir Konstrukte, die du extra dafür baust, um an sie heran zu gelangen.
Dafür verpasst du währenddessen die Fässer, die eigentlich für dich bestimmt waren. Die Fässer, die direkt an dir vorüber schwimmen, nach denen du nur hättest greifen müssen. Dein Blick ist aber auf die Fässer gerichtet, die schneller herangeschwommen kommen. Auch wenn sie sich auf der anderen Seite des Flusses befinden.
Mit deiner Ungeduld und der sich daraus entwickelnden Schnelligkeit überholst du dich oft selbst. Anschließend weißt du nicht mehr, wo dir der Kopf steht. Du tappst von einer Misere in die nächste. Zumindest ist dies dein Gefühl. Nichts gelingt dir, egal wie sehr du es willst und probierst. Ungeduld mündet fast immer in einen Zustand, den ich gerne »mit dem Kopf durch die Wand rennen wollen« nenne. Anzeichen hierfür sind »Das muss aber«- und »Wie lange soll das denn noch dauern«-Gedanken. Wer aber immer mit dem Kopf gegen die Wand rennt, weil er die Geduld nicht hat, die Tür am anderen Ende der Wand zu benutzen, hat auch immer Kopfschmerzen. Aus Ungeduld Dinge erzwingen wollen, ist nie eine gute Idee. In meinem Leben hat es nur zu Ärger und Kummer geführt.
Die bessere Idee ist es, sich zu entspannen, den Dingen ihren Lauf zu lassen, sich gut um sich selbst (das Neugeborenen-Ich) zu kümmern und es dem Höheren-Ich überlassen, die für dich passenden Fässer zu identifizieren. Dein Gefühl wird dir schon sagen, dass es das richtige Fass für dich ist. Spätestens wenn du es öffnest, wird es dir klar sein.
Ich habe in meinem Haus einen Raum, der als Rumpelkammer diente. Ich wusste instinktiv, dass dieser Raum eigentlich für etwas ganz anderes bestimmt war. Nachdem ich mich um das Loslassen von weltlichen Gütern gekümmert und die verbleibenden Dinge neu geordnet hatte, war der Raum beinahe leer. Ich entschloss mich dazu, endlich den Ohrensessel mit Fußschemel zu kaufen, den ich schon sehr lange aus mir unerfindlichen Gründen herbeisehne. Nun stehen der Sessel, der Fußschemel, ein Beistelltisch, ein Bücherregal, ein CD/DVD-Schränkchen und ein kleines Aktenregal in dem Raum. Zusammen mit ein paar Kerzen ist es jetzt der für mich gemütlichste Raum im Haus: mein Lesezimmer. Außerdem verbringe ich dort Zeit, in der ich nur leise Musik und in mich hinein höre. Als der Raum fertig war, wusste ich sofort, dass meine Entscheidung genau richtig war. Meine Geduld, abzuwarten, bis ich den Zweck des Raums identifiziert hatte, hat sich ausgezahlt.
Überhaupt bekomme ich durch diese Taktik immer das, was ich wirklich brauche. Nicht was ich haben will, sondern was ich benötige, um meine Selbstentwicklung voranzutreiben, meiner Berufung zu folgen oder mich wohl zu fühlen. Sollte es Geld kosten, wird es soweit reduziert, dass ich es mir leisten kann. Oder ich bekomme durch einen Zufall gerade dann einmal etwas mehr Geld zusätzlich herein. Genauso ist es mit den Menschen, die ich treffe. Gehe ich hinaus in die Welt und suche aktiv, dann treffe ich meist die Falschen, die mir nicht helfen oder guttun. Warte ich allerdings in Ruhe ab und höre auf mein Gefühl, laufen mir die Richtigen einfach so über den Weg.
Zumindest in deinem Privatleben kannst du entschleunigt leben. Nimm dir nicht mehr so viel auf einmal vor, plane mehr Ruhepausen ein und übe dich in Geduld, indem du einfach mal gar nichts tust und nur still sitzt oder liegst. Du kannst auch meditieren. Das beruhigt enorm und erfrischt Körper, Geist und Seele. Auch beim Essen kannst du Geduld üben, indem du frische Gerichte kochst, die keine Fertigprodukte beinhalten. So genanntes Slowfood, das lange Garzeiten benötigt enthält noch alle Nährstoffe. Oder koche asiatisch. Das Zerkleinern der Zutaten ist eine meditative Beschäftigung. Zudem achte beim Essen darauf, nicht zu schlingen und nebenbei Fernsehen zu schauen oder etwas zu lesen. Konzentriere dich auf deine Mahlzeit. Dann schmeckt sie besser und du isst weniger.
Ein toller Nebeneffekt durch das Loslassen deiner Ungeduld entsteht für die Menschen in deiner Umgebung. Sie reagieren auf einen geduldigen Menschen viel angenehmer, als auf einen ungeduldigen. Ungeduldige Menschen stecken die Leute in ihrer Nähe mit Nervosität an. Sie fühlen sich dann genötigt und bedrängt. Begegnest du ihnen geduldig, gelassen und entspannt, so bekommst du dafür Liebe, Zuneigung und Harmonie zurück. Geduld kann man auch mit den Worten Gleichmut oder Langmut gleichsetzen.
Außerdem können positive, gesundheitliche Effekte auftreten. Ungeduldige Nervosität sorgt in vielen Fällen für Bluthochdruck und Magenübersäuerung. Bei manchen Menschen kommt es auch zu starken Muskelverspannungen, vor allem im Schulter- und Rückenbereich. Diese Beeinträchtigungen können auf Dauer zu schwereren Schäden und Krankheiten führen.
Es lohnt sich also dreifach, die Ungeduld loszulassen.
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Ich bitte Sie, das Vorwort und das Kapitel Selbstentwicklung zu lesen, bevor Sie fortfahren.