Was dies mit deinem Partner zu tun haben könnte, erklärt sich am Ende des Artikels, da sich alles auf die Mechanismen der inneren Eltern bezieht.
Wir Menschen verhalten uns immer besser, als wir wirklich sind, wenn wir uns beobachtet fühlen. Eine kleine Feststellung aus der Psychologie, die teilweise weite Konsequenzen nach sich zieht. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass wir vielleicht zügel- und maßlos sind, wenn wir uns nicht beobachtet fühlen. Wir lassen uns gehen, verlottern, fressen Unmengen in uns hinein, faulenzen den ganzen Tag und liegen in Unterwäsche auf dem Sofa herum.
Deshalb arbeiten das Christentum und andere Religionen mit einem alles sehenden Gott oder Personifikationen wie dem Weihnachtsmann, der weiß, ob du gut oder böse warst.
Außerdem kam es in deiner Kindheit zwischen dir und deinen Eltern zu vielen kleinen unschönen und sich immer wiederholenden Situationen. Diese führten zu winzigen psychischen Verletzungen, die du immer noch mit dir herumträgst. Vielleicht weil deine Eltern dir Unrecht getan haben, dich vernachlässigt, ein anderes Kind bevorzugt oder dich einfach im Stich gelassen und dir ihre Hilfe verweigern haben. Zudem haben sich die Entscheidungen deiner Eltern, ihre Weltsicht und ihr Charakter in dich eingeprägt. Sie waren die ersten Menschen, denen du begegnet bist, mit denen du viel Zeit verbracht hast und die dich gelehrt haben, in der Welt zurechtzukommen. Außerdem waren sie bedingungslos deine Bezugspersonen und Leitbilder für Jahre oder sogar Jahrzehnte. Die Art und Weise, wie sie mit dem Leben, sich selbst und dir umgegangen sind, haben dich für den Rest deines Lebens geformt. Dabei sind leider die negativen Erinnerungen länger im Unterbewusstsein haften geblieben als die positiven im Bewusstsein.
Wenn du nun die Pubertät hinter dir gelassen und begonnen hast, auf eigenen Beinen zu stehen und die Selbstbewusstseinskrisen der Kindheit und Jugend zu verarbeiten, installierst du womöglich eine virtuelle Version deiner Eltern in deinem Kopf. Das mag zunächst mit den Fragen beginnen, wie deine Eltern eine bestimmte Situation lösen würden. Gerade wenn du ein geringes Selbstwertgefühl ausgebildet hast, etablierst du diese inneren Eltern als Instanz in deinem Kopf, damit sie auf dich achten und dich leiten können. Außerdem kontrollieren sie dich, damit du nicht zu einem schlechten Menschen wirst. Du hörst von ihnen immer wieder die Credos aus deiner Kindheit. Tu dies nicht, so etwas macht man nicht, wenn du dies tust, musst du dich nicht wundern, wenn jenes passiert. Wir sind enttäuscht von dir.
Da vielen Hochsensiblen in ihrer Kindheit und Jugend ihre erweiterten Sinne abgesprochen werden, selbst wenn die Eltern ebenfalls (unentdeckte) Hochsensible sind, leidet fast immer das Selbstwertgefühl. Introvertierte Hochsensible (sie sollen 70 % der Gruppe ausmachen) machen meistens alles mit sich selbst im Inneren ab und suchen selten Hilfe im Draußen. Somit sind ihre inneren Eltern die Instanz, mit deren Hilfe sie die meisten ihrer Probleme lösen.
Leider sind diese Abbilder ihrer wirklichen Eltern auf einem Stand, der in der entfernten Vergangenheit liegt. Wahrscheinlich haben sich die Eltern selbst weiterentwickelt, sind weiser oder schlauer geworden, haben viel mehr erlebt und würden die Fehler in der Erziehung ihrer Kinder nicht wiederholen. Vielleicht existieren die Charakterzüge gar nicht mehr, die du bei deinen inneren Eltern noch festhältst.
Oft geschieht es nun, dass du deine inneren Eltern vor Augen hast, wenn du mit deinen wahren Eltern sprichst. Bei Problemen hast du vielleicht das Gespräch schon tausend Mal mit den inneren Eltern geführt und dir die Reaktionen ausgemalt, die du in der Wirklichkeit bekommen würdest. Und das, bevor du ein einziges Wort mit deinen Eltern gesprochen hast.
Dazu kommt, dass du häufig Seiten von dir selbst in die inneren Eltern projizierst, frei nach dem Motto: Was würde ich an deren Stelle empfinden oder wie würde ich an deren Stelle entscheiden. Hier ist das menschliche Ego so gestrickt, dass wir immer die negativsten Vorstellungen bevorzugen. Allein schon deswegen, damit wir nicht enttäuscht werden, wenn wir unseren inneren Disput zu positiv gestalten. Wenn du das Schlechteste erwartest, kann das reale Ergebnis nur besser werden.
Du gehst schon voreingenommen in das Gespräch mit deinen wirklichen Eltern. Die Diskrepanz, die in dem folgenden realen Gespräch entsteht, nimmst du vielleicht als Angriff wahr. Oder du bist so verwirrt, dass du ihnen das Gesagte als böse Absicht unterstellst und das Schlimmste hineininterpretierst. Es entstehen Missverständnisse und weitere Mini-Wunden aus der Begegnung. Das kann soweit führen, dass du mit deinen Eltern gar nicht mehr über Probleme sprichst, sondern vorher zu dem Entschluss kommst, dass sich das wirkliche Gespräch nicht lohnt. Also wirst du in Zukunft lieber nur unverfängliche und oberflächliche Themen anschneiden. Dieses Verhalten wiederum erweckt bei deinen Eltern das Gefühl, dass sie nicht mehr ein so inniger Teil deines Lebens sind.
Nun kommen wir zu deinem Partner. Deinen Eltern bist du nach deinem Auszug aus dem Elternhaus in der Regel keine Rechenschaft mehr schuldig. Doch vor deinem Partner musst du dich für einen Teil deiner Handlungen verantworten. Wenn du Mist in der Partnerschaft oder beim Zusammenleben baust, will dein Partner normalerweise wissen, warum du das getan hast. Ist dein Partner nun der dominantere in eurer Beziehung und dein Selbstwertgefühl nicht besonders hoch oder dein Selbstbewusstsein durch äußere Umstände angeknackst, kann es passieren, dass du in dir einen inneren Partner erschaffst. Dieser kann sogar eine Mischung aus dem aktuellen und ein paar verflossenen Partnern sein. Du unterstellst dem aktuellen Partner auch die Schwächen der Vorgänger.
Bevor Dein Partner dich ansprechen kann, hast du meistens bereits jede mögliche Variante dieser Diskussion mit deinem inneren Partner geführt, bis du mit deiner Erklärung herausrückst. Diese Begründung für dein Verhalten ist jedoch schon eine geschönte und optimierte Version. Die Version, bei der du die höchsten Chancen siehst, dass dein Partner nicht zu böse auf dich wird. Dabei übersiehst du, dass du mit dir härter ins Gericht gehst, als jeder andere Mensch, da du deine innersten Triebe, deine tiefsten Begierden, deine Zwänge und deine schlechtesten Gedanken als Hintergrund mit einbeziehst. Gerade wegen deiner vielen Fehler möchtest du, dass dein Partner dich in einem möglichst guten Licht betrachtet, damit er dich nicht verlässt. Du schlägst dich womöglich immer mit dem Gedanken herum, dass dein Partner dich nicht mehr ertragen könnte, wenn er herausfindet, was für ein schlechter Mensch du innen drin bist, wo er doch beinahe fehlerfrei und toll ist. Deinen Partner betrachtest du mit Wohlwollen und Liebe. Die fehlt dir selbst gegenüber in deinen Gedanken jedoch oft, da deine schlechtesten Seiten wie ein Damoklesschwert über dir baumeln und du ständig um deinen Niedergang fürchtest. (Das ist vielleicht ein bisschen übertrieben, ich möchte nur, dass dir klar wird, wie bescheuert das eigentlich ist.) Dein Partner sieht dich in einer normalen Beziehung ebenfalls mit Wohlwollen und Liebe und kennt zwar einige deiner schlechten Seiten, aber lange nicht alle und das ist auch gut so. Außerdem scheinen ihn deine schlechten Seiten nicht so sehr zu stören, dass er schreiend davon läuft, sonst wäre er nicht mehr dein Partner. Viele schlechte Eigenschaften und Gedanken überspitzt du für dich in deinem Inneren, sie erscheinen dir schlimmer, als sie in Wirklichkeit sind. Die meisten Menschen haben ähnliche schlimme Gedanken, äußern sie jedoch nur anonym oder gar nicht. Dafür hast du ja aber auch jede Menge gute und sogar tolle Gedanken, kannst lieben und verspürst Empathie. Als Hochsensibler hilfst du den Menschen um dich herum, auch wenn du es nicht mal unbedingt merkst. Mindestens durch Zuhören und gute Ratschläge verbesserst du ihr Leben.
Wenn du nun ständig nach Chancen optimierende Begründungen für dein Fehlverhalten oder blöde Entscheidungen für deinen Partner parat hältst, kommt dieser langfristig dahinter und denkt sich dann, du würdest ihn belügen. Meist tritt sofort eine Diskrepanz auf, da du dir entweder widersprichst oder nicht authentisch bist. Hochsensible Partner durchschauen so etwas ziemlich schnell. Auch normalsensible Partner kann man nicht endlos manipulieren, denn nichts anderes ist eine solche Optimierung von Aussagen.
Auf lange Sicht verändern die Diskussionen mit deinem inneren Partner deine Sicht auf und deine Gefühle für deinen realen Partner. Du nimmst ihn ganz anders wahr und deine Schuldgefühle überlagern deine Zuneigung und Liebe. Über die Zeit kann so das Gefühl in dir ganz sterben. Nun erwägst du gar eine Trennung.
Dabei war dein Partner die ganze Zeit lieb und nett zu dir, hat versucht, die Diskrepanzen zu ergründen und herauszufinden, warum du immer unauthentischer und abwehrender wirst. Er fragt sich, warum du nicht mehr so oft mit ihm über die Dinge redest, die dir wichtig sind. Warum er nicht mehr so gut an dich herankommt wie früher einmal.
Solltest du dich trennen, um dem Leid ein Ende zu setzen, anstatt noch einmal den Dialog ganz offen zu suchen und alles aufzuklären, was in den letzten Jahren schief gelaufen ist, dann denkst du sicher daran, dass in der nächsten Beziehung alles besser wird. So lange du den Mechanismus mit dem inneren Partner jedoch nicht bewusst wahrnimmst, wird sich derselbe Kreis wieder ergeben. Du wirst dir wieder einen ähnlichen Partner suchen, da du so gestrickt bist. Du wirst Fehler begehen, denn niemand ist ohne Fehler, du wirst wieder alles mit dem inneren Partner ausmachen und dich schließlich wieder trennen. Dann fängt alles wieder von vorne an.
Wie kannst du nun die inneren Eltern oder Partner loswerden?
Du könntest einen Brief an ein inneres Elternteil oder den inneren Partner schreiben. Darin notierst du alles, was nach deiner Meinung falsch gelaufen ist, jeden Fehler, den er deiner Meinung nach gemacht hat und jede Verfehlung, an die du dich erinnerst. Der Brief kann so lange werden, wie du magst. Psychologisch gesehen, ist schreiben die beste Variante, denn sie erfordert vorherige Strukturierung deiner Gedanken. Wenn du aber nicht so viel schreiben magst, dann such dir eine störungsfreie Umgebung, starte das Diktiergerät deines Smartphones (es gibt für jedes eine Diktier-App) und nimm alles auf. Lass ruhig alles raus. Was fühlst du dabei? Fühlst du dich erleichtert? Wirst du aggressiv? Wirst du traurig? Es ist alles in Ordnung. Bewerte es nicht, sondern beobachte nur. Wenn du in nächster Zeit öfter emotional reagierst oder träumst, dann ruhe dich öfter aus.
Lass den Text oder die Aufnahme ein bis zwei Wochen liegen. Sorge nur dafür, dass niemand diesen Text oder diese Aufnahme finden kann. Besonders dein realer Partner nicht. Sollte von jetzt bis zum Schluss der Selbsttherapie eine Situation auftreten, die du mit den inneren Eltern oder dem inneren Partner diskutieren möchtest, dann nimm einfach mal Abstand davon. Gehe stattdessen zu den realen Personen und sprich die Dinge einfach aus, wie sie sind. Lass dich überraschen, wie die Reaktionen ausfallen.
Nach dieser Zeit nimmst du den Text oder die Aufnahme. Allerdings hörst oder liest du nicht aus deiner Warte, sondern so, als seist du dein Vater, deine Mutter oder dein Partner. Versuche, die Liebe und das Wohlwollen zu empfinden, die sie für dich haben. Tu so, als seist du an ihrer Stelle und blende einmal alle deine Fehler und Unzulänglichkeiten aus. Dann schau, was du dabei empfindest. Nun beziehst du die Herkunft deines Elternteils oder Partners mit ein, seine Erziehung, seine Familie, wie es in ihr zuging, welche Ängste er mit sich herumträgt, besonders in Beziehung auf dich. Vielleicht ist einmal ein geliebter Mensch an Eigenschaften zerbrochen oder mit ihnen untergegangen, die du aufweist. Deswegen könnten ihre Ängste und ihr Beschützerinstinkt besonders groß sein. Es gibt da viele Möglichkeiten.
Versetze dich, so gut es geht, in sie hinein. Nun hörst du dir deine Aufnahme durch oder liest deinen Text. Schau genau, was das mit dir tut. Diktiere oder schreibe danach die Erkenntnisse auf, die du gewonnen hast. Lasse auch das Nachwirken und eine Woche liegen. Danach lies es dir nochmal durch oder hör es dir an.
Daraufhin kannst du mit den Ton- oder Schriftdokumenten machen, was du willst. Sie sollten in dein Unterbewusstsein und deine Erinnerung eingesickert sein. Natürlich musst du dasselbe nochmal für das zweite innere Elternteil wiederholen.
Zuletzt solltest du dir deine inneren Eltern oder deinen inneren Partner visualisieren. Umarme sie, zeige ihnen deine Liebe und erkläre ihnen, dass du sie ab jetzt nicht mehr benötigst, da du lieber mit den realen Personen reden möchtest als immerzu mit ihnen. Mach ihnen oder dir aber keinerlei Vorwürfe mehr. Jeder macht Fehler.
Nun ist es an der Zeit, deine Eltern oder deinen Partner erneut kennen zu lernen, ganz ohne die Vorurteile, die dich durch ihre inneren Versionen belastet haben. Begegne ihnen mit Liebe und Wohlwollen. Wenn du nicht mit ihnen frei über deine inneren Versionen von ihnen reden kannst, dann bedenke, dass sie nicht wissen können, dass diese existierten. Sie müssen dich nun ebenso neu kennenlernen und werden sich vielleicht einige Male über dich wundern. Sieh ihnen die aus deiner Warte seltsamen oder nach altem Muster gestrickten Reaktionen nach. Schließlich hast du dich verändert und nicht sie.
Sollte all dies nichts bringen, rate ich dir wie immer, einen Therapeuten aufzusuchen und ihn um Unterstützung zu bitten.
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Ich bitte Sie, das Vorwort und das Kapitel Selbstentwicklung zu lesen, bevor Sie fortfahren.