Haben Sie schon einmal etwas von HSP/HSM gehört? Ein HSP/HSM ist eine hochsensible Person oder ein hochsensitiver Mensch. Manche unterscheiden hier noch einmal, dies werde ich nicht tun da die Definitionen mir zu unterschiedlich und zu unwichtig sind. Manche HSP-Experten sind der Ansicht Hochsensitivität hätte noch eine spirituelle Komponente oder die besonders »Hochsensiblen« sollte man zur Abgrenzung Hochsensitiv nennen. Diese Ansicht teile ich nicht.
Das Phänomen der Hochsensibilität ist schon einige Zeit bekannt, erlangt jedoch erst in neuerer Zeit eine stärkere Wissensverbreitung durch vermehrte psychologische Forschungsreihen und Erwähnung in den klassischen Medien wie TV, Magazinen und Zeitungen. Der Begriff wurde 1996 von Dr. Elaine Aron geprägt.
Was ist nun ein hochsensibler Mensch? Eines auf keinen Fall: ein Sensibelchen. Die meisten HSP, die ich bisher kennen gelernt habe, sind eher ganz das Gegenteil. Sie arbeiten in der gleichen Zeit doppelt so viel. Entweder in der Tiefe und Gründlichkeit oder der Anzahl und können einen ganzen Stiefel ab. Besonders wenn sie erst später erfahren haben, dass sie eine HSP sind.
Natürlich gibt es sie trotzdem, die Menschen, die ihre Sensibilität vollkommen ausleben und sie offen zeigen. Doch sie sind nicht die Regel, sondern die Ausnahme.
Außerdem sind Hochsensible nicht unbedingt intelligenter oder geschickter im Umgang mit ihren Mitmenschen. Wichtig zu wissen ist, dass HSP nicht automatisch gute Menschen sind. Manche nutzen ihre Vorteile egoistisch aus und übervorteilen oder manipulieren ihre Mitmenschen. Es ist mit der Verteilung in etwa gleich wie im Rest der Bevölkerung.
Ich bitte des Weiteren nicht die Vorsilbe HOCH aus dem Wort hochsensibel mit HOCHMUT zu assoziieren, denn das wäre falsch. Die Vorbelastung aller Begriffe, die im deutschsprachigen Raum mit HOCH beginnen, ist enorm. Die meisten Menschen denken, dass man als HSP etwas Besseres sein will. Das stimmt nicht. Man ist anders und hat andere Bedürfnisse, ist jedoch nicht HOCHwohlgeboren oder HOCHnäsig. Meistens sind HSP sogar eher zurückhaltend, freundlich, hilfsbereit und verständnisvoll. Viele halten sich lieber bedeckt, anstatt sich in den Vordergrund zu drängen. Viele HSP besitzen eine ausgesprochen serviceorientierte Einstellung oder sind gute Ratgeber. Die meiste Zeit kommen sie sich sogar MINDERwertig vor. Im Vergleich mit anderen Menschen, die keine HSP sind, haben sie das Gefühl weniger zu leisten und ertragen zu können. Das machen sie mit dem Versuch wett, mehr zu leisten und ihre Schwächen durch Abhärtung auszugleichen.
Im Grunde genommen haben alle Menschen unterschiedliche Bedürfnisse. Die von HSP weichen allerdings sehr weit von der Norm ab.
Hochsensible Menschen besitzen eine Filterschwäche des Gehirns, die zu einer schnelleren Überlastung des Nervensystems führt. Das ist keine Krankheit und auch keine wirkliche »Schwäche«. Im Gegenteil erwächst dies zu einer ganz besonderen Stärke, solange man entsprechend seiner Bedürfnisse lebt. Wir nehmen beinahe alle dasselbe wahr, doch Menschen ohne Filterschwäche filtern viele Dinge aus ihrem Bewusstsein aus. Den Straßenlärm, das Gefühl der Kleidung auf ihrer Haut, das Gespräch im Nebenzimmer, wenn sie im Wohnzimmer sitzen, die Emotionen und Körpersprache der Leute, an denen man nur beiläufig vorbeigeht. Alle Reize, die für die meisten Menschen nicht wichtig sind, bleiben in der Regel unbemerkt.
HSP dagegen nehmen sie noch wahr. Manche knapp unter der Schwelle zum Bewusstsein, als würde etwas an einer Stelle kurz unter der Haut jucken, an die man aber nicht zum Kratzen gelangt. Andere Hochsensible nehmen all das wirklich bewusst wahr. Welche Sinne betroffen sind, hängt von der jeweiligen Ausprägung der Filterschwäche ab. Bei manchen Menschen ist nur ein Sinn betroffen, bei anderen eine Kombination. Sie sehen alle möglichen Kleinigkeiten oder hören in einem Café fünf Gespräche gleichzeitig. Sie riechen Wohlgerüche und Gestank viel intensiver oder sind unheimlich empfindsam ihre Kleidung betreffend. Manche müssen alles anfassen, weil die Wahrnehmung der unterschiedlichen Oberflächen sie fasziniert. Zu all dem kommt hinzu, dass das Gehirn von Hochsensiblen den ganzen Tag auf vollen Touren läuft. Viele HSP werden in frühen Jahren auch als hochbegabt eingestuft, da sie mit ihrer Fähigkeit zu abstraktem Denken und der Verknüpfung ihrer Wahrnehmungen besondere Hirnleistungen erbringen. Allerdings ist eine besondere Intelligenz nicht Voraussetzung, um Hochsensibel zu sein.
Unterliegen HSP nun vielen Reizen gleichzeitig und über eine längere Zeit, kommt es schnell zu einer Überlastung. Das bedeutet, das Gehirn kann die Reize nicht so rasch verarbeiten, wie sie eintreffen. An einem Punkt, der sich für jeden individuell gestaltet, schalten sich Notfallmechanismen ein, die dafür sorgen, dass die Reizflut minimiert wird. Das äußert sich in einem dringenden Bedürfnis, allein zu sein, und Sehnsucht nach Ruhe und Geborgenheit. Von außen betrachtet werden sie ungeduldig, quengelig, es passieren Missgeschicke oder im schlimmsten Fall werden sie ausfallend.
Nicht hochsensible Menschen (ich nenne sie Normalsensible) funktionieren genau gleich. Doch da ihre Filtermechanismen Reize schon vor der Verarbeitung eliminieren, dauert es bei ihnen ungleich länger, bis es zu einer Überreizung kommt.
Wissenschaftliche Untersuchungen ergaben, dass in jeder Spezies ca. 15 – 20 % der Artgenossen hochsensible Eigenschaften aufweisen. Man nimmt an, dass diese im Zuge der Evolution ausgebildet wurden. Die hochsensiblen Tiere sind meist im
• sozialen Bereich (in der Nachwuchs- und Krankenpflege)
• Lern-Lehr-System (als »Forscher« bzw. »Ausprobierer«, sowie als Wissensvermittler)
• Frühwarnsystem (Aufpasser, Weitseher, Guthörer, Mehrriecher, Nachtwachen)
der Gruppen eingesetzt. Durch ihre erweiterte Wahrnehmung und schnelle Auffassungsgabe sind sie für diese Aufgaben geradezu prädestiniert. Beim Menschen findet man Hochsensible in denselben Sparten vermehrt: Gesundheitswesen, Pflegedienste, Schul- und Lehrbetrieb, Wissenschaft, spirituelle Dienste, Kunst, Musik, Schriftstellerei, Dienstleistungssektor. Natürlich gibt es auch Hochsensible außerhalb dieser Sparten, doch nicht geballt.
Laut einiger psychologischer Artikel, ist die geistige Entwicklung des durchschnittlichen Menschen mit 22 bis 25 Jahren abgeschlossen und wird erst im Alter durch Gebrechen und Verfall gezwungenermaßen wieder aufgenommen. Hochsensible Menschen entwickeln sich ihr ganzes Leben lang weiter. Das muss auch so sein. Denn wenn sie ein Thema sehr intensiv behandeln, gelangen sie entweder relativ schnell an die eigenen Grenzen oder an die Grenze des Themas. Dann muss ein neues Thema her, mit dem sie ihr Hirn füttern können. Zur Erinnerung: Dieses arbeitet die ganze Zeit über. Meistens sogar auf mehreren Ebenen. Gibt es nichts Neues zu bedenken, wird einem Hochsensiblen schnell langweilig. Hört sich anstrengend an? Ist es auch. Jedoch ebenso erfüllend. HSP streben oft nach Selbstverwirklichung und/oder Persönlichkeitsentwicklung. Sie suchen nach dem Sinn des Lebens oder fühlen sich zu einer bestimmten Funktion in der Gesellschaft berufen. All ihre Fähigkeiten scheinen darauf ausgerichtet, eine bestimmte Berufung erfüllen zu können. Auch hierauf zielt die Persönlichkeitsentwicklung.
Praktische Beispiele:
Wenn eine HSP einen Raum betritt, sieht sie bei jedem Menschen und bei vielen Tieren, wie sie sich fühlen und in welcher Stimmung sie sich befinden. Dies ist ein Teil der Empathie. Viele HSP können sich sehr gut in andere Menschen hineinversetzen und nachvollziehen, wie sich derjenige fühlt. HSP haben meistens einen anderen Blickwinkel und bemerken oft mehr Details. Sie schaffen im künstlerischen oder handwerklichen Bereich Werke, bei denen die meisten Menschen mit einem »WOW« reagieren. Für sie sind das ganz normale Momente, die sie ständig erleben und wahrnehmen, weil sie aufmerksamer in die Welt schauen.
Laute Geräusche verursachen ihnen körperlichen Schmerz. Ein Bohrer, der in eine Betonwand bohrt, könnte ebenso gut direkt in den Kopf des HSP bohren. Ein Zug, der nahe an ihnen vorbeifährt, sorgt dafür, dass sie einen Moment nicht klar denken können. Plötzliche Geräusche erschrecken sie überdurchschnittlich stark.
Ein HSP kann etliche Gespräche gleichzeitig mitbekommen. Manchmal sind seine Gegenüber, die mit ihm sprechen, erstaunt oder sogar beleidigt, wenn er eine Bemerkung zu einem Gespräch am Nachbartisch fallen lässt. Beleidigt, weil sie denken, dass der HSP ihnen nicht zugehört hat.
Manche HSP spüren die meiste Zeit des Tages die Kleidung, die sie tragen. Nicht bloß bei Bewegung oder wenn sie sich drauf konzentrieren. Wenn da etwas kratzt, werden sie wahnsinnig. Jeder kennt ein Kind, das anfängt sich zu beschweren, wenn der angeblich weiche Pullover scheuert oder kratzt.
Wenn etwas so aussieht, als fasse es sich toll an, müssen taktil orientierte HSP es anfassen, um es genau zu begreifen. Sie sind oft Menschen, die sehr gerne kuscheln und streicheln, denn das Erlebnis ist einfach unglaublich intensiv. Taktil ausgerichtete HSP sind stärker auf Körperberührungen aus.
Wenn etwas das ästhetische Empfinden eines HSP berührt, reagiert sie sehr emotional. Bei Musik kann es schon mal sein, dass sie plötzlich extrem traurig, fröhlich oder gerührt ist. Es gibt Lieder, bei denen ihr das Herz überläuft vor Glück. Da wird auch schon einmal eine Träne vergossen.
Jeden Tag gibt es etwas, über das HSP staunen können. Die Fähigkeit, die Kinder haben, wenn sie die Welt bewusst entdecken, ist ihnen nie abhandengekommen. Oft entdecken sie Dinge neu, deren Magie sie schon wieder vergessen hatten. Wirklich Neues weckt in ihnen oft euphorisches Interesse.
Wenn es geht, verschaffen sich viele HSP sofort einen Überblick, wenn sie einen Raum betreten oder um eine Ecke biegen. Sie sind gern Herr der Lage und möchten die sie umgebende Situation positiv für sich kontrollieren können. Kontrollverlust führt meist zu Stress.
Es gibt Gerüche, die manche HSP so stark empfindet, dass sich ihre Emotionslage verändert. Allein ein schlechter Geruch kann ihre Stimmung senken, genauso wie ein wohl tuender sie anheben kann.
In Krisensituationen, wenn die meisten Menschen in Panik geraten, werden Hochsensible ganz ruhig, behalten den Überblick und tun, was zu tun ist. Egal, ob es sich dabei um einen Unfall handelt, eine sehr stressige Situation, ein Kind, das seine Eltern verloren hat. Ihnen fallen in kürzester Zeit Lösungen ein und sie improvisieren mit den vorhandenen Mitteln. Wenn Sie also in Krisenzeiten einem Menschen begegnen, der die Ruhe bewahrt und gezielte Anweisungen gibt, dann handelt es sich höchstwahrscheinlich um einen Hochsensiblen.
Oft sind Hochsensible sehr gute Chefs oder deren Berater, denn die ständige Übersicht über die Situation in der Firma und die Genauigkeit ihrer Arbeitsweise prädestinieren sie dafür, ebenso die Empathie ihren Untergebenen gegenüber. Sie wissen instinktiv, wann sie ihre Leute beraten oder motivieren und wann sie sie in Ruhe lassen müssen. Da sie sich gut in andere hineinversetzen können, wissen sie um die Bedürfnisse ihrer Untergebenen und erfüllen diese nach Möglichkeit gerne. Ein zufriedener Mitarbeiter arbeitet qualitativ hochwertiger.
<Selbstentwicklung | Nachteile der Hochsensibilität> |
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Ich bitte Sie, das Vorwort und das Kapitel Selbstentwicklung zu lesen, bevor Sie fortfahren.