Ein Auswuchs des Perfektionismus ist eine fehlende Entscheidungsfreude. Menschen, die unentschlossen sind, wollen meistens deswegen keine Entscheidungen treffen, weil sie fürchten, nicht zur perfekten Entscheidung zu gelangen. Oft wird behauptet, die Unentschlossenheit liege daran, dass der Betroffene die Folgen nicht überschauen könne und deswegen die Entscheidung scheut.
Bei so einfachen Entscheidungen, wie »welchen Käse möchte ich kaufen«, fällt dieser Fall jedoch weg. Es gibt nur 3 Folgen pro Käse:
- Ich kaufe den Käse nicht und nichts passiert.
- Ich kaufe den Käse und stelle fest, dass er mir schmeckt.
- Ich kaufe den Käse und stelle fest, dass er mir nicht schmeckt.
Das ist sehr übersichtlich. Zudem potenzieren sich die Möglichkeiten nicht, wenn mehrere Käsesorten infrage kommen, wenn ich nur eine oder zwei Packungen kaufen will. Also gibt es für gekauften Käse nur 4 Möglichkeiten. Käse 1 schmeckt oder nicht, Käse 2 schmeckt oder nicht.
Bei mir sieht es wie folgt aus. Ich frage mich, ob ich Käse essen möchte. Dann frage ich in mich hinein, wie viel ich bereit bin, für einen Käse zu zahlen. Anschließend folgt die Frage, auf welchen ich Hunger habe oder welchen ich gerne mal wieder essen möchte. Des Weiteren frage ich mich, ob ich Lust auf ein Experiment habe und einen unbekannten Käse probieren möchte.
Mit diesen wenigen Fragen komme ich meistens sehr schnell zu einem Ergebnis. Genauso sieht es mit beinahe allen anderen Dingen aus, die man kaufen kann.
- Brauche ich es?
- Möchte ich es ausprobieren, auch wenn ich es nicht brauche?
- In welcher Farbe und Ausfertigung möchte ich es haben?
- Welche Anforderung muss es zwingend erfüllen?
- Bis zu welchem Preis bin ich bereit es zu kaufen?
5 Fragen für ein Hallelujah! Ganz einfach zu beantwortende Fragen.
Wie kommt es also, dass so viele Menschen (und Hochsensible) enorme Entscheidungsschwierigkeiten haben?
Wie immer ist die Antwort ganz einfach: Sie begeben sich in eine Fragenspirale, die darauf abzielt, das perfekte Produkt zu erwerben oder die perfekte Dienstleistung einzukaufen.
Zu den oben genannten Fragen addieren sich Unsicherheitsfragen. Sie beginnen zumeist mit den Worten Was ist, wenn… oder was tue ich, wenn…
- Was ist, wenn der Käse komisch schmeckt?
- Was ist, wenn die Konsistenz mir nicht gefällt?
- Was ist, wenn er schlecht wird, bevor ich ihn aufessen kann?
- Was tue ich, wenn er mir nicht schmeckt?
- Was ist, wenn ich ihn nicht vertrage?
- Was ist, wenn meine Gäste ihn nicht mögen?
- Was ist, wenn ich allergisch gegen ihn reagiere?
Alle Fragen lassen sich mit zwei einfachen Antworten erschlagen: Nicht mehr davon essen. Den Rest wegwerfen oder jemandem mitgeben, der ihn mag.
Bei günstigen Produkten ist dies ganz einfach. Wie sieht es bei Teureren aus?
Wenn ich ein neues Sofa benötige, weil das alte beinahe unter der Last seines Alters zusammenbricht, wie entscheide ich mich schnell für eins?
Zunächst gehe ich zuhause bereits die 5 Fragen für ein Halleluja durch, wobei ich dort nur noch 3 beantworten muss, denn ich habe ja schon beschlossen, dass ich ein neues Sofa benötige.
Nun gehe ich durch maximal 5 Möbelhäuser und suche mir in jedem maximal zwei Sofas aus. Durch die obigen Fragen habe ich ja bereits meine Auswahl eingegrenzt. Warum ausgerechnet 2 und nicht 3 oder 5? Was, wenn in einem sechsten Möbelhaus das ultimative, allerbeste, tollste Sofa zum kleinsten Preis steht?
Ich will maximal zwischen zehn Sofas auswählen. Wenn in 5 Möbelhäusern nicht das ultimative Sofa dabei ist, das ich anschaue und sage: »Ja, das ist meins!«, dann ist die Wahrscheinlichkeit gleich Null, dass ich es in einem Sechsten finde. Genau dasselbe ist es mit Onlineanbietern. Diese Erwartungshaltung schickt mich in eine andere Spirale. Zu viel Auswahl ist nicht gut für mich. Mit jedem Möbelhaus, das ich umsonst durchforste, steigert sich mein Frust nur und ich komme nicht näher an eine Entscheidung, sondern entferne mich davon.
Wichtig bei jeder Auswahl ist es, dass ich mich selbst begrenze und den Gedanken, etwas Supertolles, unglaublich Fantastisches irgendwo anders zu verpassen, nicht zulasse. Wenn ich etwas Besonderes haben soll, dann wird mich mein Höheres-Ich dorthin führen oder es auf mich zukommen lassen. Außerdem weiß eigentlich jeder, dass das ultimative und unglaublich tolle Produkt nicht existiert. Alles hat Vor- und Nachteile. Trotzdem bilden wir uns oft ein und malen es uns mit den prächtigsten Farben aus, dass das perfekte Produkt für uns hinter der nächsten Ecke wartet.
Die zweite Grenze, die ich ziehen muss, ist die Vor-/Nachteil-Grenze. Welche Vorteile sind mir am wichtigsten, welche Nachteile kann ich auf keinen Fall in Kauf nehmen? Hier darf ich mich nicht in die nächste Spirale begeben. Das erste Sofa ist cremeweiß und passt hervorragend zu den Möbeln, hat aber einen Mikrofaserbezug und keinen aus Leder. Das zweite Sofa ist ockerfarben, passt zwar nicht ganz so gut in die Farbgestaltung des Wohnzimmers, ist aber dafür lederbezogen. Was ist mir wichtiger? Farbe oder Bezugsstoff? Wenn mir der Bezugsstoff dann doch unwichtiger ist, sortiere ich das zweite Sofa sofort aus! Und es bleibt draußen! Wenn ich mich nicht an meine Grenzen halte, komme ich nie weiter. Wankelmütigkeit ist die Folge, meine innere Spannung und Unsicherheit wächst und führt zur Entscheidungsunfähigkeit.
Ein weiterer Faktor ist die Gewöhnung an das Sofa, das bisher in meinem Wohnzimmer steht. Die Bindung an das Objekt, das mit Stunden über Stunden Gemütlichkeit gebracht und sich mittlerweile meinem Hintern und Rücken perfekt angepasst hat, ist eigentlich nicht zu ersetzen. Das neue Sofa muss erst mal beweisen, dass es genauso gut ist, wie das alte. Im Grunde genommen möchten wir das alte nur in neu. Gewohnheit ist eine starke Triebfeder für viele Hochsensible. Wenn das neue Sofa ein paar Wochen in meinem Wohnzimmer steht und ich mich dran gewöhnt habe, ist es plötzlich das perfekte Sofa. Ohne dass sich das zuvor unperfekte Sofa verändert hat.
Habe ich so 10 Sofas gefunden, stelle ich sie noch einmal kurz gegenüber und eliminiere alle bis auf drei. Diese drei stelle ich mir wieder gegenüber und schlafe eine Nacht drüber. Wenn ich aufwache, habe ich ein Ergebnis vorliegen und weiß, welches Sofa ich kaufen möchte.
Mit dieser Methode kommt man ganz leicht und schnell zu einem Ergebnis.
Doch nun lauert die nächste Falle des Perfektionismus: Das Sofa wird geliefert und es gefällt mir nach einer Woche Probesitzen doch nicht mehr. Was mache ich dann? Manchmal muss man sich einfach von der lieb gewonnenen, bekannten Sitzweise des alten Sofas erst trennen und sich an das Sitzgefühl des neuen Sofas gewöhnen. Oder ich frage mich, ob ich mit den Mängeln die nächsten Jahre leben kann. Sollte das nicht der Fall sein, dann folgen zwei Dinge:
- Wenn ich es nicht mehr zurückgeben kann, setze ich es einfach in eine Kleinanzeigen Website oder frage im Bekanntenkreis herum, ob es jemand zum Kaufpreis erwerben will.
- Die wichtigste Erkenntnis in einem solchen Fall ist: Wenn ich mich einmal falsch entscheide, muss ich mir selbst erlauben, mich beim nächsten Mal anders zu entscheiden. Dann ist die Prozedur an sich nicht infrage gestellt und man akzeptiert, dass man Fehler machen darf.
Wir nehmen also aus diesem Text mit, dass wir kein perfektes Produkt finden können, dass wir uns bei der Entscheidungsfindung Grenzen setzen müssen und dass wir uns Fehler im Entscheidungsprozess zugestehen müssen. Außerdem ist es wichtig zu wissen, dass man die Entscheidung nicht bereuen muss und man alles, das man gekauft hat, auch wieder loswerden kann. Das bedeutet, dass die Konsequenz niemals so schlimm ist, wie man es sich selbst ausmalt.
Sich schnell entscheiden zu können, ist eine reine Übungssache. Wenn du jetzt Schwierigkeiten damit hast, dann fordere dich selbst heraus, gehe einkaufen und setze dir bewusste Grenzen für jedes Produkt. Mit jedem Mal, wenn du dich schneller entschieden hast, als beim Mal davor, kannst du stolz auf dich sein. Das bildet Resilienzen und dein Vertrauen in deine Entscheidungskraft steigt. Irgendwann wirst du am Käseregal vorbeigehen, deinen Blick darüber schweifen lassen und zwei Sekunden später zugreifen und den richtigen Käse für dich im Korb liegen haben.
<Emotionsvampire | Dualität Kopf und Herz> |
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Ich bitte Sie, das Vorwort und das Kapitel Selbstentwicklung zu lesen, bevor Sie fortfahren.